Die Räuber, Thalia
Lohnenswerte Wiuederaufnahme
Wer bin ich? Wer macht mich zu dem, der ich geworden bin? Das es um die Suche nach der eigenen Identität geht, wird schon in dem Eingangsszene deutlich, in der Zweitgeborene Franz darum ringt, endlich an die erste Stelle im Hause Moor zu gelangen. Gleich vier Darsteller spielen ihn und seinen Vater. Immer wieder wechseln die vier Männer die Rollen, sprechen chorisch die zwei Personen. Dieser künstlerische Ansatz zieht sich durch die ganze Inszenierung von Nicolas Stemann des Schillerschen Stoffes am Thalia Theater. Er inszeniert das Drama als Sprachoper. Er benutzt die kraftvolle Sprache Schillers, um ihrem Rhythmus, ihrem Klang und ihrer Energie mit musikalischen Mitteln nachzuspüren. Auf der Suche nach dem eigenen Ich, nach dem Gegenüber und nach dem Vater gibt es so die beiden Brüder Karl und Franz in vierfacher Ausfertigung.
Die vier Männer (Felix Knopp, Daniel Lommatsch, Alexander Simon, Philipp Hochmair) sind eine perfekte Männercrew, die später bestens zur Räuberbande mutieren können. Wenn sie johlend und Bier trinkend durch die Reihen stoben und „Freiheit“ ausrufen, bekommt man ein Gefühl dafür, welche Motive bei ihren Vorhaben im Vordergrund standen. „Morden, Huren, Rauben Saufen“ ist der Song ihres Männerbundes, der von den zwei auf der Bühne befindlichen Musikern zusammen mit Felix Knopp an der E-Gitarre und Alexander Simon am Schlagzeug mit dröhnenden Bässen intoniert wird.
Karls ursprünglicher Beweggrund war jedoch noch ein anderer: Durch die Intrige seines zweitgeborenen, neidischen Bruders glaubte er sich von seinem Vater verstoßen und enterbt. Deshalb schloss er sich der Bande an und wurde ihr Anführer. Nach Jahren des Blutvergießens kehrt er in seine Heimatstadt zurück und muss erfahren, dass sein ganzer Lebensweg auf einer Lüge seines raffgierigen Bruders beruht, der mittlerweile seinen Vater ins Grab gebracht hat. Er steht vor dem Scherbenhaufen seines Lebens. Auch eine Verbindung mit der ihn noch immer liebenden Amalia (Maja Schöne) ist unmöglich geworden. Keiner der Vier ist der, den sie in ihrem Herzen liebt.
Stemann lässt die Szenen auf der Rückwand mit Digitalaufnahmen aus einer Miniatur-Modelllandschaft illustrieren, die in ihrer Künstlichkeit einem Kitschfilm entnommen sein könnten. Er vollbringt das Wunder gleichzeitig die Geschichte immer wieder ironisch zu brechen und dennoch die Figuren in ihrem Schicksal ganz ernst zu nehmen. Das ihm das bei seinem künstlichen Konzeptansatz gelungen ist, hat er auch den virtuosen Schauspielern des Thalia-Ensembles zu verdanken.
Birgit Schmalmack vom 30.12.14