Freitag
Gartenzwerge und Eventgeilheit
Die beiden Performer Philipp Karau und Mark Schröppel sind Fans von Fritz Teufel. Seine unkonventionelle Freigeisterei ist ihnen Vorbild bei ihrer Theaterarbeit „Solidarität ist die Zärtlichkeit der Völker“. Mit Wasserpistolen und Schaumkussweitwürfen erschrecken sie ihr Publikum schon in den ersten Minuten. Dann ziehen sie sich hinter den Tarnvorhang auf die Bühne zurück. Dort legen sie BRD-Eier mit aufgeregtem Flügelschlag. Kopftuch und Bommelhüten symbolisieren für sie ebenso die mehr oder weniger gute alte Republik ebenso wie Lufthansa und Gartenzwerge. Von Kriegsende bis zur Wiedervereinigung spüren sie dem Gesit der Republik nach. Erika Steinbach, Roberto Blanco unterhalten sich als Ente und Frosch miteinander. Da ist der Kampf der Völker schon lange zum verlorenen Kampf der Giganten für Max Schmeling geworden und hat einer Playmobillandschaft Platz gemacht. Freiheit, Freiheit tönt Westernhagen minutenlang in einem Endlosloop. Gefangen in Zellophanhülle und rotem Band sind die Performer zu statischen Figuren geworden, während Heiner Müller über die öde Zukunft Deutschlands auf den sechs Bildschirmen räsoniert. Kritische Anmerkungen zu Deutschland gehören zum guten Ton, die Gießener bedienten sie assoziations- und kenntnisreich.
Wummernde Disco-Beats zu Stroboskoplicht empfing die Zuschauer nach der Umbaupause. Die unerfüllten Sehnsüchte einer feierfreudigen, eventgeilen Gesellschaft waren das Thema der Züricher Inszenierung „Enjoy violance“ von Dominik Locher nach dem Drama „Kasimir und Karoline“ vom Horvath. Karo und Kasi wollen mal so richtig feiern. Doch diese eine Nacht auf dem Oktoberfest wird ihr ganze Beziehung in Frage stellen. Der arbeitslos gewordene Kasimir ist für Karo nicht mehr der aussichtsreiche Partner, den sie sich erwünscht hat. In der Partylaune des Abends hält sie Ausschau nach Alternativen. Zuerst begegnet ihr der Werber Domi, dann sein Chef. Willig lässt sie sich erst von dem einen, dann von den anderen abschleppen, um neues Vitamin B aufzubauen. Kasimir schaut hilflos zu und wird von seinen Kumpanen als „Opfer“ beschimpft.
Die leere Bühne füllen die Schauspieler mit körperbetontem Spiel. Sie verdeutlichen ihre Gefühle durch Bewegungen und Gesten. Gekrümmt in ihrer Hilflosigkeit stehen sie dann da oder setzen sie sich mit allerlei Posen ins rechte Licht. Regisseur Locher benutzt für seine Fassung von „Kasimir und Karoline“ Texte aus der Popkultur von Rihanna, Bushido und Meese. Die Zirkusshow bei Horvath wird bei den Zürichern zur Abnormitäten-Talkshow, einem Format aus dem schweizerischen Fernsehen. Eingeschnittene Szenen mit einem einsamen Partygirl erzählen, wie diese sich jede Nacht neue Männer schnappt und von ihnen aushalten lässt. Locher zeigt eine Gesellschaft, die Vergnügungen sucht und Ambitionen hat. Nie war Horvath so aktuell wie heute, scheint es. Auch Lochers Aktualisierungsmittel verträgt das starke Stück ohne Einbussen.
Birgit Schmalmack vom 30.3.12
Sonnabend
Tanzende Puppen und düstere Endzeitvisionen
„Yes!“, reckt Nora ihren Arm hoch. Sie hat es geschafft. Durch den Aufstieg ihres Mannes Thorvald ist auch sie hoch hinaus gekommen. Inmitten ihres Kristalls steht sie auf der langen Tafel und freut sich daran, ihre Tage als einzige lange Party zu sehen, auf der sie rosefarbenen Champagner trinken darf. Passend zu ihrem kurzen rosa Ballettkleidchen, in dem sie für ihren Mann als „sein Singvögelchen“ posieren darf.
Nora hat sich aus Kalkül in eine fremdbestimmte Rolle begeben. Zunächst spielt sie ihre Rolle gut. Sie wird umschwärmt und steht ganz oben auf der Rangliste des Lebens. Doch schnell bekommt ihre Welt Risse und die ersten Gläser gehen zu Bruch. Immer enger spannen sich die Schlingen des gesellschaftlichen Netzes um die Frau auf dem Tisch. Zum Schluss wird sie gejagt von den Erwartungen, Anforderungen, Vorwürfen, Wunschvorstellungen der anderen. Ihr Verehrer Dr. Rang umgarnt sie, ihr Gläubiger erpresst sie, ihre Freundin Christine gibt Ratschläge und ihr Mann erwartet Perfektion. Regisseurin Julia Wissert hat die Ökomonie der Beziehungen in Ibsens Nora genau herausgearbeitet. Sie zeigt mit ihren hervorragenden Schauspielern, wie eine Frau in der Aufrechterhaltung der eigenen Fassade ihr Selbst verliert und zerbricht. Eine hochkonzentrierte, genau fokussierende, spannende Interpretation des Nora-Stoffes, mit der Wissert ihr Regietalent beweist!
Das Land brennt. Alle Natur ist vernichtet. Die Region im ehemaligen Kohlerevier ist verlassen. Zwei Schwestern sind noch da. Sie wollen die Hoffnung nicht aufgeben. Sie suchen nach einem Fluss, der das Feuer löschen könnte. Ein Plastikplanenverschlag bietet Margarete und Fritzi einen Unterschlupf. Ihnen gegenüber haben sich die Alten des Ortes als Besitzstandswahrer in ihren Vereinen verschanzt. Alt gegen Jung postiert sich hier. Auf ihrer lebensverheißender Suche nach dem Wasser begegnen die Schwestern einem weiteren vereinsamten Vertreter ihrer Generation. Er schleppt einen toten Hasen als Weggefährten mit sich herum.
Regisseurin Sylvia Sobottka von der Falckenbergschule aus München hat versucht den düsteren Endzeit-Roman „Einladung an die Waghalsigen“ von Dorothee Elmiger zu dramatisieren. Das ist ihr nur zum Teil gelungen. Das lag aber weniger an der fehlenden dialogischen Ausrichtung des Textes als vielmehr an ihrer Umsetzung auf der Bühne. Aussichtslosigkeit und Leere auf der Bühne darzustellen ohne in Langeweile umzuschlagen, ist hohe Kunst. Das war für die eingesetzten Jungschauspieler und Laiendarsteller eine zu große Herausforderung, zumal wenn die Regie ihre Darsteller hauptsächlich statisch aufsagend agieren lässt. Gerade dieser spröde Text hätte eine atmosphärische Dichte in Bildern verlangt, die sich jenseits der Sprache ausdrückt, um gefangen zu nehmen.
Birgit Schmalmack vom 31.3.12
Sonntag
Anarchie, Religion und Sex
Eine revolutionäre Versuchsanordnung hat Rainer Werner Fassbinder 1969 geschrieben, Helene Vogel aus Wien bringt sie vierzig Jahre später auf die Bühne. Eine Gruppe Anarchisten ruft die totale Freiheit in Freistaat Bayern aus. Die brave Familie „Normalzeit“ reagiert empört: Ohne die gewohnte Ordnung fürchten sie Gewalt und Chaos. Als sie die Abschaffung von Geld, Eigentum und Erwerbsarbeit hinnehmen sollen, sind sie komplett überfordert. Fassbinders Fragment bezieht keine eindeutige Position. Das eindeutige Bekenntnis zur absoluten Freiheit offenbart ebenso Defizite wie das zur absoluten Bürgerlichkeit. Vogels Inszenierung zeigt viel Talent zum perfekten Timing und zur effektvollen Schauspielerführung. Da sie aber den Text in seiner zeitgeschichtlichen Plakativität belässt, verwehrt sie ihm leider die Chance zur notwendigen Aktualisierung.
Der erst 23-jährige Malte Lachmann von der Everding-Theaterakademie aus München wagt dagegen mehr. Zaimoglus und Senkels dramatisierte Monologe deutscher Musilimas „Schwarze Jungfrauen“ überspitzt er mit seiner Fünfercrew aus Musical- und Schauspielstudenten geschickt und gekonnt. Er führt damit die Intention der Autoren, mit klischierten, deutschen Vorstellungen von Muslimas zu provozieren, konsequent fort. Mit Glitzer-Make-Up und in Showkostümen kommen die Sprecher/innen (drei Frauen und zwei Männer!) in eigener Sache als Revuegirls auf die Bühne. Ständig unterlegt von Pianisten-Musikteppich schleudern sie dem „Eurozwergen“-Publikum ihre derben Wahrheiten an den Kopf. So wird mit der Form der zusätzlichen Stilisierung ein Zugang zum Text geschaffen, der die Bebilderung gängiger Klischees von türkischen Kopftuchmädchen überflüssig macht. Es kommen Frauen zu Wort, die ihr Recht auf Ausleben ihres Glauben und ihrer Sexualität bestehen, und die im Gegensatz zu ihrem Gegenüber darin keinen Gegensatz sehen. Sie sind wütend auf die Gesellschaft, die ihnen diesen Freiraum verwehrt. Sie wollen deren Vermutung gegen die Zumutung ihrer brutalen Offenheit austauschen. Kurze Ballett- und Gesangseinlagen ironisieren die Texte, ohne ihre Botschaften zu verwässern. „Wer hat Angst vor den Schwarzen Jungfrauen“, singt einer von ihnen in das von der Decke hängende Mikro, wenn die gläubige Musilima, die fünfmal am Tag betet, von ihrem ausschweifenden Sexualleben berichtet. „Dreaming a dream“, schnulzt eine andere im rosafarbenen Scheinwerferlicht, als die junge, streng gläubige Frau mit Kopftuch sich in einen deutschen Mann verliebt und ihn einfach anspricht. Die Kiste für die Abstimmungskarte war klar: Top!
Birgit Schmalmack vom 2.4.12
Montag
Überfluss und Eingschränktheit
Die Titel der Lovesongs rauschen im Sekundentakt über die Leinwand. Die Liebesvorstellungen sind allgegenwärtig und prägend. Auch der Aufsteiger Clavigo hat sich von ihnen beeinflussen lassen. Doch angeleitet durch seinen Freund Carlos bemüht er sich jetzt nur an seine Karriere zu denken. Eifrig nickt sein Kopf, während Carlos ihm seine rosigen Zukunftsaussichten ohne seine nicht mehr standesgemäße, abgelegte Braut Marie ausmalt. Maries Bruder Antoine ist angereist, um ihre Sache zu vertreten. Vor Angst bekommt er kein Wort heraus, als er Clavigo gegenüber tritt. Doch bald merkt er, dass dieser Mann keineswegs so cool ist, wie er in seinem Michael Jackson Auftritt mit „I am a man“ zu scheinen versucht. Sehnsüchtig nach Marie keimt seine Hoffnung auf eine Versöhnung auf. Ständig schwankt er zwischen Entschlossenheit, Sehnsucht, Reue, Ehrgeiz und Hoffnung hin und her.
Weiß geschminkt sind alle im Spiel der Fassaden am Hofe. Die Männer tragen Unterhosenleibchen zu Glitzersocken. Die Frauen weite kurze Kleidchen, die die Mädchenhaftigkeit betonen. Wie Clowns spielen sie eine Rolle. Regisseurin Lilja Rupprecht benutzt in ihrer Inszenierung viele verschiedene Stilelemente. Die Comedia del Arte schimmert ebenso durch wie Slapstick, Pantomime, Tanz, Clownerie, Comedy und klassisches Sprechtheater. Sie lotet spielerisch die vielschichtigen Aspekte eines wankelmütigen Menschen aus, dem so viele Wege offen stehen, dass jede Entscheidung schwer fällt. Eine Haltung, die auch heutzutage vielen bekannt vorkommen dürfte.
Weniger Entscheidungsmöglichkeiten haben Bahir und Omar. Für ihre Arbeit hat Ana Zirner von der Folkwangschule aus Essen im Iran zwei Wochen lang Interviews geführt und sie zu einer Geschichte konzentriert.
Bahir und Omar sind Geschwister, die sich gut verstehen. Eine alltägliche Geschichte, die zunächst in jedem Land stattfinden könnte. Doch dann verschwindet ihr Vater plötzlich. Er wurde verhaftet, wegen Alkoholbesitzes. Omar und Bahir wachsen auf in einem Land, in dem die freie Meinungsäußerung und die freie Ausübung der Religion verboten sind. Sie erleben die Wahlen und die anschließenden Demonstrationen mit. Omar wird verhaftet. 31 Tage wird er im Gefängnis verbringen. Berichten die beiden Schauspieler auf leerer Bühne zunächst in der neutralen dritten Person in großer Sachlichkeit von den beiden Geschwistern, werden Omar und Bahir jetzt zum ihrem Ich. Ihr Ton verändert sich. Sie beziehen unterschiedliche Positionen. Zum Schluss stehen sie beide auf dem ausgerollten Teppich und schreien sich ihre unterschiedlichen Haltungen entgegen. Ana Zirner hat eine aufwühlende Arbeit abgeliefert, die gerade durch die sachliche Distanzierung betroffen macht. Sie lässt dem Zuschauer die Möglichkeit zur eigenen Positionierung. Während die Revolutionsbilder des Jahres 2011 über die Leinwand laufen, bleiben die Bilder aus dem Iran schwarz. Nach 2009 sind die Aufstände erstickt. Eine in ihrer Schlichtheit und Konzentration höchst beeindruckende Inszenierung!
Birgit Schmalmack vom 2.4.12
Dienstag
Racheengel und Familienwurzeln
Revolution kennt zwei Zustände: Wut und Hoffnung. Von Kohlhaas ergreifen sie erst allmählich Besitz.
Auf der schwarzen Bühne ragen Holzbalken bis zur Decke, zu Säulen aufgestellt. Rauchschwaden umziehen sie. Die Pfeiler einer Gesellschaft, welche sind es? Ab welchem Moment geraten sie ins Wanken? Wann beschließen die Untergebenen aufzubegehren gegen die Zustände?
Zunächst glaubt Kohlhaas (Dennis Pörtner) noch an die Gerechtigkeit. Noch vertraut er den Gesetzen, der Ordnung, dem Staat. Erst als ihm in seinem Prozess diese Gerechtigkeit verwehrt wird und seine geliebte Frau Lisbeth von Vertretern dieses Staates so schwer verletzt wird, dass sie stirbt, wird er zum Aufbegehrenden. Er wird zum Racheengel. Hoch schwebt er über der Bühne, nackt in seinem Zuggeschirr. Er sieht sich als Engel Matthias, der Rache nimmt für die Ungerechtigkeit, die ihm widerfahren ist. Er schart hinter sich tausende von Unzufriedenen, die unter seiner Führung Herrschende zur Rechenschaft ziehen, auf ihre Missstände unmissverständlich hinweisen wollen und dafür Städte niederbrennen.
Ist dieser alles Maß verlierende Kohlhaas ein Gerechter? Ist er ein Kämpfer, der stellvertretend für viele zur Waffe greift, weil alle anderen Mittel versagt haben?
Regisseur Felix Meyer-Christian hat wie Kleist eine eindimensionale Beantwortung dieser Frage in seiner Diplom-Inszenierung klug vermieden. Er zeigt Herrscher und Revolutionäre, die sich gleichermaßen stark von ihren ganz persönlichen Lebensziele und strategischen Machtwünsche treiben lassen. Verständnis für Kohlhaas Aufbegehren wird ebenso erzeugt wie sein Getriebensein durch allzu große Emotionalität deutlich wird. Meyer-Christian bedient sich nicht nur für die Textgrundlage einer breiten Sammlung an Äußerungen zum Thema Revolution, (u.a. von Alexander Kluge, Brüggemann, Martin Luther) sondern einer Vielfalt von anregenden Regiemittel. Mal lässt er unheilsschwanger die schwarz gekleideten Vertreter des Staates aus dem dunklen Nebel hervortreten, mal reiht er sie wie Witzfiguren auf einem Balken für ihre Gerichtsshow an. Sprechende Bewegungschoreographien erzeugen immer neue Stimmungen. Unterlegt wird alles von einer mal säuselnden, mal zwitschernden, mal bedrohlichen, mal vibrierenden Klangteppich der Theatermusikerin Katharina Kellermann. Vordergründig prunkvolle Kostüme enttarnen die Oberen.
In ihrem dreißigsten Jahr kommt die Frau in "Von toten Vögeln. Ich suche den Fehler darin." ins Grübeln. Was will ich von meinem Leben? Wo komme ich her? Was hat mich geprägt? Sie sucht nach Antworten in ihren Familienwurzeln. Bei ihr sind sie ausschließlich weiblich. Ihre Oma ist früh Witwe geworden und die Mutter wuchs vaterlos auf. Eine frühe Schwangerschaft verhindert alle Lebensträume von einem Haus in Irland. Die Tochter lernt ihren leiblichen Vater nie kennen. Die wechselnden Männerbekanntschaften ihrer Mutter schaffen keinen Ersatz, stattdessen manche Wunden.
Regisseurin Vanessa Emde wollte sich ihrer Vergangenheit vergewissern. Um dennoch eine Distanz zu dem Erzählten zu gewinnen, wählte sie den Rahmen eines Märchens und nennt das Ganze ein „Doku-Märchen“. In ihrem abgestorbenen Märchenwald lässt sie ihr Alter Ego als Rotkäppchen in der Geschichte als Zuschauerin Platz nehmen. Hier ersucht sie die Entwicklungen ihrer Oma und Mutter nachzuzeichnen. Die Nachkriegsjahre prägen die Ehefrauerwartungen der Oma ebenso wie die Selbstverwirklichungspläne der Hippie-Mutter mit ihren vereitelten Aussteigerplänen. Ganz anders die Tochter. Als einzige Akademikerin aus einer Arbeiterfamilie stehen ihr viele Möglichkeiten offen. Was die Wahl nicht unbedingt einfacher macht. Mutter werden ja oder nein? Lohnt es sich, fragt sie ihrer Vorgängerinnen. Die schütteln den Kopf.
Der surreal anmutende Rahmen, in den Emde ihre Recherche packt, wirkt zum Teil aufgesetzt. Dass ein schlaksiger Mann als Sehnsuchtsvogel in den kahlen Ästen hockt, ist für die unerfüllten Träume der Frauen ein zu dürres Bild. Erst als die Geschichte die Zeitebene der eigenen Generation erreicht, werden die Dialoge sprachlich so interessant wie die zwischengeschalteten Texte aus dem Off. Leider äußerte sich der Lebenspragmatismus von Oma und Mutter nur in den eingespielten realen Videoaufnahmen mit selbstironischem Witz. Dass Emde mit einer solchen Einspielung ihre Inszenierung enden lässt, ist gut. Sie bereichern es um eine wohltuende, lebenskluge Leichtigkeit. Jede Geschichtsschreibung der eigenen Vergangenheit ist in ihrer Selbstrekonstruktion eine Fiktion mit realen Elementen. Ob ein paar Märchenfiguren daraus aber ein Märchen werden lassen, darf bezweifelt werden.
Birgit Schmalmack vom 4.4.12
Mittwoch
Terrorismus im Alltag
Die Norwegerin Maren Bjorseth von der Amsterdam School of the Arts zeigte mit ihrer Inszenierung „Terrorisme“ eine ausgefeilte Arbeit ohne Ecken und Kanten. Das von ihr ausgewählte Stück der Brüder Presnjakow enttarnt die allseits gern gepflegte Angst vor terroristischen Anschlägen als Verdrängung der eigenen, selbst zerstörerischen Akte im alltäglichen Beziehungsleben. Auf handwerklich hohem Niveau benutzte die Regisseurin die kluge Textvorlage für ein Theater, das für „gute“ Unterhaltung sorgen möchte. So werden aus den Menschen, die hier agieren, Typen, denen man Schnurbärte anhängt und witzige Mützen aufsetzt. Das reizt zum Lachen, das kurz danach wieder zum Gefrieren gebracht wird. Dieses Spiel zwischen Komik und Ernst verstehen nicht nur die Profischauspieler sondern auch die Regisseurin aufs Beste. Dennoch sorgte diese Arbeit für keine der spannenden, irritierenden oder faszinierenden Überraschungen, von denen das Körber Festival dieses Jahr so viele zu bieten hatte.
Birgit Schmalmack vom 4.4.12