Die Verschwundenen von Altona


Die Firma Altona

Der Duft von Anarchie umgab den Stadtteil Altona einst. Doch das ist jetzt vorbei. Wo die letzte Metzgerei dem weiteren Cafe, der letzte Konditor dem x-ten Billigschuhladen gewichen ist, wo die Aktien des Stadtteils klar nach oben weisen und immer mehr Gewinn versprechen, hat Widerstand keinen Platz mehr.
Gentrifizierung ist in aller Munde. Nun auch in Schorsch Kameruns. Er verbreitet seine Botschaften singend, unterstützt von einem Streichertrio plus Pianisten. Er verarbeitet Textbruchstücke aus Interviews mit ehemaligen und jetzigen Bewohnern des Stadtteils. Wo ein Stadtteil zu einer monokulturellen Soße zu verkommen droht, muss er seine Stimme erheben. So klagt er von der Ikeaisierung, von der Balzacisierung und von der damit einhergehenden Verteuerung sowohl der Mieten wie des Kaffees. Wollen hier nicht alle abstrakte Künstler sein und sind doch nur ein beliebiges Patchwork-Arrangement aus postmodernen gängigen Versatzstücken der Hippster, der Nerds, der Coolies. Ein Loft zum Arbeiten und Wohnen schafft eben noch lange keine Luft zum Atmen.
Kamerun gelingt in der Musik auf zugleich einschmeichelnde und aufrüttelnde Art von den Veränderungen zu erzählen. Sein Quartett umlullt ihn meist mit harmonischen Klängen um von Zeit zu Zeit mit kontrapunktischen Beats neue Töne anzuschlagen. Dazu agiert auf der eindrucksvollen Bühne eine Dreierrumpffamilie. Constanze Kümmel hat eine arg ramponierte Loftwohnung mit Einschlusslöchern und Abgründen im Dielenfußboden in die Gaußstraße gebaut. Zu Beginn stellen die Drei fest, dass sie sich trennen werden, weil die gegenseitigen Erwartungen zu groß geworden sind. Mutter betreibt daraufhin Urban Gardening auf dem eigenen Elbbootssteg, der Vater erklärt das ehemalige Familienloft zum dänischen Territorium und die Tochter errichtet sich auf dem kleinen Hausboot einen planengeschützten eigenen Rückzugsort. Zu sagen haben sie sich und dem Publikum nichts mehr. Stumm und blicklos bauen sie zu Kameruns Konzert ihre Welten auf der Bühne.
Was ihm mit seiner Musik gelingt, gerät in der Performance weniger eindrucksvoll. Welch eine Verschwendung von Schauspielerkapital, wenn ihnen ihre Mimik und Sprache geraubt werden und sie nur zur Bebilderung eines Konzertes herhalten müssen!
Birgit Schmalmack vom 4.3.12