Radical Wrong
Radikal jung
Die jungen Leute stürmen in die Publikumsränge und ziehen einen Zuschauer mit auf die Bühne. Nachdem sie alle blitzschnell hinter der Bühne verschwunden sind, steht dieser verunsichert einen Moment im Licht der Aufmerksamkeit, um sich dann wieder auf seinen Platz zurück zu ziehen.
Gewohnte Muster des Zuschauens und des Angeschautwerdens werden hier in Frage gestellt. Keiner der Zuschauer darf sich bei der Brüsseler Company „Ultima Vez“ von Wim Vandekeybus in Sicherheit wiegen.
Diese ist international besetzt und beherrscht viele Sprachen, um sich auszudrücken. Der schlaksige Belgier schreit heraus, was er gerne einmal machen möchte: Zum Beispiel einen Passanten nach der Uhrzeit fragen und ihm dann ins Gesicht schlagen. Der Kubaner kurvt mit seinem Motorrad auf der Bühne herum, erst haarscharf vor den Zuschauerreihen gelingt sein Stoppmanöver. Die junge Frau lächelt den Mann in der ersten Reihe immer wieder an. In Schulmädchenrock, kurzen weißen Top und mit blitzenden weißer Unterhose tanzt sie nur für ihn. Für alle anderen hat sie nur eine wütende eindeutige Handbewegung übrig.
Eine Frau und ein Mann führen zwei der Tänzer wie Pittbulls zum Gassi-Gehen an der Leine und lassen sie im wilden Kampf aufeinander losgehen.
Ein Mann bespringt eine Frau von hinten, nachdem sie sich minutenlang über ihn lustig gemacht hat. Anschließend wird ein Zuschauer eine Pistole in die Hand gedrückt und aufgefordert, dem Mann seine gerechte Strafe zu geben. Die Isländerin beschwert sich, dass sie immer die Rolle des blonden Klischeebildes spielen soll. Später wird sie einen Blondinenwitz nach dem nächsten erzählen und sich vor Lachen ausschütten.
Solche Episoden, die mit aller Radikalität gegen gewohnte Normen und Regeln angehen, werden in „Radical Wrong“ erzählt. Sie sind von höchster körperlicher Energiedichte; immer sind alle Körperteile der Darsteller im Einsatz. Wenn die Gruppe sich zu Choreographien der besonderen Art zusammenfindet, wird der ästhetische und künstlerische Genuss noch gesteigert. Dann werden Elemente aus Kampfsportarten, Akrobatik, Breakdance und Modern Dance zu einer innovativen, anregungsreichen Tanzform verbunden. Da springen sich die Tänzer an, rollen sich auf den Körpern der anderen in der Luft ab, kicken in die Luft, halten sich in der Schwebe und finden zu immer neuen, sich bewegenden Körperskulpturen.
Birgit Schmalmack vom 30.1.12