Auskosten um jeden Preis

Apocalypse tomorrow Foto: Fabian Hammerl


Noch eine Stunde zu leben. Das erfahren die sechs jungen Menschen, die sich hier an einem merkwürdigen Ort, irgendwo zwischen Working-Space, Lounge und Wintergarten angesiedelt, mit viel Grün in drei fahrbaren Regalen, einem Sofa und zwei Stühlen, aufhalten. Was tut und empfindet man in so einer Situation? Dem spüren sie in dieser Extremsituation nach. Eines ist von Anfang an klar: Diese Menschen haben keine Verbindung zueinander und sie werden sie auch angesichts dieser neuen Herausforderung nicht entwickeln. Sie verharren in ihrer Selbstbezogenheit, in ihrer Furcht, in ihrer Ohnmacht. Sie haben dieser Ankündigung nichts entgegenzusetzen. Sie suchen nicht nach Antworten, nach Möglichkeiten, sondern ergeben sich ihrem Schicksal, das sie in ihrer Vereinzelung verharren lässt. Allen ist vorrangig nur ihr eigenes Gefühl am wichtigsten. Alles sieht sehr sportiv aus – und auch ein bisschen eitel und selbstverliebt. Nur eine unter ihnen will immer wieder Gemeinschaftssituationen erschaffen, wie sie es in ihren Meditationsworkshops kennengelernt hat. So lässt sie die Menschen sich z.B. zu einer Banane aneinander kuscheln. Doch diese zerstiebt sofort wieder in ihre Einzelteile, sobald die Übung vorbei ist. Annäherungen finden höchstens zur Steigerung der momentanen Lust statt. So rast einer der Beteiligten wie ein Besessener durch die Menge, um sein Bedürfnis nach Sex zu befriedigen. Einmal will eine der Frauen von sich selbst in ihrer Kindheit erzählen und singt ein Karaokelied, bei dem sie bekennt, dass sie sich nie als schön empfand. Doch das ist schon der innigste Moment des ganzen Abends. So wird er zu einer perfekten Metapher auf eine Generation, die ihre Gestaltungsmöglichkeiten als äußerst bescheiden wahrnimmt und angesichts einer herannahenden Katastrophe nur an die Steigerung des Auskostens der noch verbleibenden Zeit für sich selbst denkt. Nach uns die Sintflut, wir kosten das kurze Leben davor noch voll aus. So hinterlässt dieser Abend einen äußerst düsteren, pessimistischen Eindruck, gerade weil sich keiner auf der Bühne der Apokalypse stellt. Weil hier konsequent jeder Erkenntnis und jedem Umdenken aus dem Weg gegangen wird, scheint alles umso hoffnungsloser.
Die internationalen Performer auf der Bühne sind allesamt grandiose Einzelpersönlichkeiten, die mit ganz eigener körperlicher Ausdruckskraft der Situation begegnen. Abgehackte, um sich selbst kreisende Bewegungen, hektisches Herumgerenne, Strotzen mit Körperkraft und Muskelpaketen, mit Verrenkungen, mit An- und Ausziehen, mit Verstecken im Blättergewirr der Pflanzen, mit Herumschlittern auf dem Boden und allerlei weiteren Übersprungshandlungen.
Beim Gastspiel in Hamburg zeigt sich das Publikum völlig begeistert. "Kyrill and Friends" haben eine starke Fangemeinde in der Hansestadt, die das Team auf der Bühne mit Standing Ovations feierte.
Birgit Schmalmack vom 14.2.24

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