Der Sonne zu nah
Ocaña malte sich rote Wangen wie eine blinde Alte, schminkte sich das Gesicht weiß und die Augen grün und zog los auf die Ramblas. Dort hatte er seine großen Auftritte. Was heute kein Problem mehr ist, konnte im Nach- Franco-Spanien noch zu Verhaftungen und Prügelstrafen führen. Doch Ocaña wäre nicht der, der er ist, wenn er nicht auch dieses Ereignis zu einem Mythos stilisieren würde: „Ich war traurig als sie uns nach drei Tagen wieder aus dem Gefängnis entließen.“ Hatte er doch dort lauter alte Bekannte wiedergetroffen und hätten sich vor seiner Zellentür lange Schlangen gebildet.
Ocaña wurde zu einer Ikone der Schwulenbewegung im Spanien der frühen 80-ziger Jahre. Das lag auch daran, dass es eine Zeit des Umbruchs war, zwischen der Diktatur und der Demokratie. Überall brachen in der Gesellschaft die Wünsche und das Aufbegehren nach Freiheiten auf, die lange unterdrückt worden waren. Die Menschen gingen auf die Straße. Ocaña war einer von ihnen. Doch nur auf einer Schwulendemo war er dabei. Der Eindruck, den er mit seiner Präsenz hinterließ, hättte für alle weiteren gereicht. So behauptet er nicht wenig selbstbewusst. „Ich bin die, die ich bin.“ Ocaña war stets der Künstler, der zugleich malte, performte, sang und revolutionierte. Ocaña war ein Gesamtkunstwerk, das nebenbei auch Kunst erschuf. Er war nicht libertär, wie andere aus ihrer Community damals sich nannten, sondern libertatär. Bei Ocaña musste es immer ein bisschen mehr sein. In einem Dorf nahe Sevilla aufgewachsen, wurde er dort aus lauter Einsamkeit zum Erleuchteten. Er rettete sich in seine Einmaligkeit, um sich nicht zu verlieren. Als er nach Barcelona flüchtete, fand er dort Gleichgesinnte und blieb dennoch das einzigartige, selbsternannte Genie.
Hatte er sich mit Hepatitis infiziert oder vielleicht doch mit einem damals noch unbekannten Virus namens HIV? Doch ein spektakulärer Unfall taugte viel eher zu einer Mythenbildung um seinen Tod. Er sei einfach der Sonne zu nah gekommen. Bei einem Festival, zu dem er sich ein Sonnenkostüm gebastelt hatte, kam er dem bengalischen Feuer zu nah und brrannte lichterloh.
Nach der letztjährigen Aufführung in der Neuköllner Oper ist das Stück „Ocaña – Königin der Ramblas“ von Marc Rosich zurück nach Berlin gekommen. Joan Vázquez schlüpft in die Rolle der queeren Ikone, der Komponist des Stückes Marc Sambola begleitet ihn an der Gitarre.
Die Beiden erzählen auf der Bühne die Lebensgeschichte des Künstlers und Aktivisten mit Hilfe von autofiktionalen Texten und Coplas, die Vázquez mit wunderschönem Tenor gefühlvoll, andeutungsreich und in mit leichter Hand arrangierter Kostümierung interpretiert. Denn Ocaña "transvestierte" die Coplas. Sie beschränken sich ganz auf die Innensicht und Selbstwahrnehmung Ocañas. Das stimmige Bild einer queeren Künstelrpersönlichkeit entsteht, die dem Leben huldigte und sich dennoch des Todes bewusst war, den sie mit ihrem radikalen Lebensanspruch riskierte. Sie wusste, dass das offene Ausleben der eigenen Sexualität und Identität ein Spiel mit dem Abgrund war. Wenn man sich diese Lebensgeschichte an einem Abend ansieht, an dem draußen auf den Straßen Berlins der CSD gefeiert wird, ahnt man, dass es vieler solcher Kämpfender gebraucht hatte, bis die Freiheiten so groß sein konnten wie heute.
Birgit Schmalmack vom 30.7.24