Perfekte Täuschung


Der einzige gute Mensch, der heute Abend auftreten wird, ist der Neue in der Schule, Albert, der mit Fliege, Brille und viel Naivität, aber ohne Migrationshintergrund, ausgestattet ist. Obwohl das alle aufgrund seiner dunklen Haare annehmen. Die rechte Clique, die ihn deswegen anmacht, aber auch seine beiden neuen Freundinnen finden das schade, würden sie doch so gerne endlich jemand an der Schule haben, der ihre Minderheiten-AG rechtfertigt. So trudelt dieser Gutmensch in seinem bayrisch-sächsischen Provinzstädtchen zwischen den Gruppen hin und her, wird mal von diesem mal von jenen beeinflusst und ausgenutzt. Denn es ist Wahlkampf in diesem Städtchen und zwei Frauen kämpfen um die Vorherrschaft, mit allen Mitteln. Und sie spannen ihre beiden Töchter, die die allein erziehenden Muttis aufzuwarten haben mit in ihre Spielchen um die Wählergunst ein. Obwohl die eine Grüne ist und die andere eine Tiefschwarze, Unterschiede findet man kaum. "Alles nur Lüge" fasst es ein Song im Verlauf des Stückes an der Neuköllner Oper treffend zusammen. Doch eigentlich geht es nicht um die Politikerinnen sondern um uns, das Wahlvölkchen, das sich mit diesen Lügen so ungehindert einfangen lässt. „Der hat Deutschland in der Hand, der es provozieren kann“. Man brauche nur denjenigen ein wenig Sympathie vorzuspielen, die sonst keiner hören würde, und schon habe man ihre Stimmen. So einfach ist das. Dass ausgerechnet Alina Deutschmann, die diese Weisheit verkündet und sich als Sympathieträgerin für ihre deutschnationale reaktionäre Wählerschaft präsentiert, als Mann zur Welt kam und nun als blondbezopfte Drag die perfekte Täuschung zelebriert, ist nur einer von vielen Gags am Rande dieses Musicals, das vor Seitenhieben nur so wimmelt.
Auch wenn am Schluss wie in jedem richtigen Musical alle wieder vereint sind und die Emotionen auf der Bühne hohe Wellen schlagen, so ist das beileibe kein Happyend: Denn jede Zeit bekomme das Ende, das sie verdiene, Entschuldigung, bemerken lakonisch die Darstellerinnen auf der Bühne dazu.
Lästerlich zusammengereimte Texte (Petr Lund), wie in der Ankündigung zu lesen war, schmissige Musik (Thomas Zaufke), tolle Sänger:innen auf der Bühne, das Publikum kennt am Schluss trotz der erteilten Watschen kein Halten mehr. Nach Szenenapplaus nun Standing Ovations. Klar, wir sind schließlich in Berlin, was geht uns die dumpfe Provinz an. Also ein ungetrübter Theaterabend mit klarer Botschaft, einer engagierten gesellschaftlich-politischer Haltung, aber auch Humor, viel Selbstironie und super toller Stimmung.

Birgit Schmalmack vom 22.7.21