Wirbeln mit Papierschnipseln und Ideen
Endlich Klarheit in das wenig erkundete Gebiet der Cervantes-Forschung bringen, das will der bebrillte Experte (Björn Meyer). Er hat seinen Forschungsgegenstand gleich als angestaubte Statue (Jasper Driedrichsen) mitgebracht. Doch seine abstrusen Thesen können selbst eine Holzfigur zum Leben erwecken. Cervantes nimmt die Erzählung über sein Leben lieber selbst in die Hand und springt auf die Bühne, die über und über mit schwarzen Papierschnitzeln bedeckt ist. Hier wirbelt er alles kräftig durcheinander. Als Sohn einer begüterten Familie hatte er gute Startbedingungen. Doch Cervantes gab sich nie mit dem leicht Erreichbaren zufrieden. Ihn dürstete stets nach Abenteuer und Aufregung. Ein Stellung bei Hofe langweilte ihn bald. Auch die schöne Römerin (Irene Benedict) verließ er wieder, um als Soldat in den Krieg zu ziehen. Als Gefangener wurde er zum Verkauf auf dem Sklavenmarkt feilgeboten. Als Rebell zettelte er eine groß angelegte Befreiungsaktion an, die aufflog. Seine Familie kaufte ihn aus dem Kerker frei. Doch zurück in Spanien konnte er sich mit einem geruhsamen Familienglück nur schwer anfreunden. Als Steuereintreiber zog er durch die Lande. Des Steuerbetrugs angeklagt, landete er wieder zum Gefängnis. Von seinem hochfliegenden Träumen war nichts mehr übrig, nur seine Fantasie war noch die alte. Genau hier in diesem Kerker erfand er die Figur Don Quijote. Aus den Gefängnismauern heraus wurde er mit seinen Geschichten des Ritters von der traurigen Gestalt bekannt und konnte genau der gebrochene Held sein, die auch andere Menschen zum Träumen brachte. Regisseur Johannes Ender interessiert sich nicht so sehr für Don Quijote sondern für Cervantes. Er will nicht die Figur ergründen sondern ihren Erfinder. Wie kommt der Sohn aus guter Familie dazu diese komisch-tragische Gestalt zu ersinnen, deren Geschichten ihm zu genau zu der Berühmtheit verhalfen, die ihm selbst mit seinen eigenen Abenteuern verwehrt blieben? Ender versteht es mit wenigen Mitteln auf der Bühne Fantasiewelten erschaffen. Der mit schwarzen Papierstreifen bedeckte Bühnenboden wird zum tosenden Meer, zum kuscheligen Liebesnest, zur harten Galeerentortur, zum dunklen Kerker oder zur tiefschwarzen Höhle. Eine glitzernde Paillettenrüstung, ein silberner Poncho und aus Cervantes wird Don Quijote und aus dem Experten wird Sancho. Während diese Szenen zum Teil zum Teil etwas ins Klamaukige abdriften, (etwa wenn die Beiden sich mit dem Aufbau eines Zelten abquälen), legen die Episoden aus Cervantes Leben mit all ihrer Action und all ihrem Witz auch etwas von dessen Seelenleben bloß. Zum Glück blieb die Ankündigung des vermeintlichen Experten, er würde in seinem sechseinhalbstündigen Vortrag endlich den Forschungsstand um Cervantes mit seinen Erkenntnissen aufhellen, nur eine leere Drohung. Cervantes himself erwies als der bessere Experte und unter der einfallsreichen Regie von Ender auch der wesentlich unterhaltsamere! Birgit Schmalmack vom 27.11.15
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