Die Vergangenheit sickert ein
Es tropft. Beharrlich sickert das Wasser durch die Rohre, die quer durch den Raum verlegt sind. Das Ehepartner (Jan Viethen und Yael Schüler) sitzen wie festgeschnallt in ihren Sesseln. Noch scheint ihr kleiner Wohnzimmerkasten ein Schutzraum in der unwirtlichen Umgebung zu sein. Doch das Gespräch der beiden macht schon bald klar, dass hier wenig sicher ist. Die Frau erzählt, der Mann fragt nach. Doch die Erzählungen der Frau werfen mehr Fragen auf, als dass sie Erklärungen liefern. Die Frau erzählt von einem Liebhaber, der sie gewaltsam genommen habe. Auf ihrem Gesicht breitet sich dabei ein verzücktes Lächeln aus. Der Mann springt in einem Anflug von Unmut kurz auf, umkreist seinen Sessel und setzt sich wieder. Er stellt Nachfragen, der die Frau mit einer weiteren Erzählung ausweicht. Sie erzählt von Zügen, von Frauen, denen ihr „Führer“ ihre Babys aus den Händen gerissen hätte, von Fabrikarbeitern, die ehrfurchtsvoll vor dem „Führer“ den Hut gezogen hätten und wie auch ihr selbst ihr Kind weggenommen worden sei. Allmählich wird klar, dass es sich hier nicht um ein Eifersuchtsdrama handelt. Bruchstücke scheinen sich zusammen zu fügen, und passen doch nicht zu den Randbedingungen. Ist die Frau eine KZ-Überlebende? Wurde sie von einem Aufseher missbraucht? Ist sie dafür nicht zu jung? Übernimmt sie die Erinnerungen ihrer Mutter? Oder ist sie das Opfer aus einem anderen Konflikt?
All diese Einordnungsversuche müssen in der Schwebe bleiben und sind auch nicht entscheidend. Denn es geht in dem Stück von Harold Pinter nicht um die konkreten Ereignisse sondern vielmehr um ihre Auswirkungen auf zwischenmenschliche Beziehungen. Wie kann ein Ehepaar mit den Erinnerungen eines der Partner umgehen? Gibt es einen Weg eines möglichen Neuanfangs? Die Frau hat dazu eine ganz klare Meinung: Wir können nur Schluss machen! Immer wieder!
Als das die Kräfte des Mannes übersteigt und er seine Frau in einer plötzlichen Aufwallung seiner unterdrückten Gefühle auf den Boden wirft, wird klar, dass das Wasser längst ihr Wohnzimmer erreicht hat: Das Wasser steht seiner Frau bis zum Halse, denn es ist von hinten in ihren vermeintlichen Schutzraum eingesickert.
Dank gebührt dem Team des MUT-Theaters, dieses bedrückende und berührende Gastspiel vom Neuen Theater aus Basel nach Hamburg geholt zu haben. Regisseur Hannan Ishay hat mit seinen beiden wunderbaren Schauspielern eine eindrückliche Inszenierung erschaffen, die mit einem begeisterten Applaus der Zuschauer belohnt wurde.
Birgit Schmalmack vom 24.11.15
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