Das Getchen wird erwachsen

Grete im Theater unterm Dach (Bild: Marcus Lieberenz)





Ihr Alltag spielt sich zwischen Kruzifix, Bett, Beichte, Herd, Stall, Hühnern, Ziegen und der Mutter ab. Jeder Tag ist wie der nächste. Für alles ein Vaterunser, ein Ave Maria. Die Grete ist ein braves Mädchen, von Mutter und Kirche gut erzogen. Sie vermutet selbst da Schuld, wo der Pfarrer keine erkennen kann. Dennoch ist von Anfang an klar, das wird nicht gut ausgehen. Denn gleich in der ersten Szene von "Grete" auf der Bühne des Theater unterm Dach steht die junge Frau vor ihrem Gang in den Tod.

Was liegt nun zwischen die beiden ersten Szenen? Eigentlich nur ein Satz: "Darf ich wagen dem schönen Fräulein Arm und Geleit anzutragen?" Erst da ist klar, um wen es sich bei diesem süßen Mädchen handelt, das hier brav ihre Dienste im mütterlichen Haushalt verrichtet und von diesem ach so schönen Satz eine Ahnung davon bekommt, dass es ein Leben außerhalb ihrer wohl geordneten Tristheit geben könnte. Ab da schwelgt sie bei jeder ihrer Verrichtungen von diesem Satz und von allen die ihm noch folgen sollen. Sie taucht ab in diese wunderschönen Formulierungen, die ihr den Horizont öffnen. Eine erste Ahnung von dem, auf das sie sich hier einlässt, bekommt sie allerdings ziemlich bald: In Anja Gronaus Adoption dieser klassischen Frauenfigur aus Goethes Feder schon bei ihrem nächsten Griff in eine ihrer Schürzentaschen. Dort findet sie zwei bunte Ohrringe. Boten aus anderer Welt, in die sie bisher keinen Zugang hatte, nicht einmal etwas von ihrer Existenz wusste. Gefahr wittert auch die Mutter, als sie sie bei ihr entdeckt. Sofort wieder zu Beichte heißt es da!

Auch die nächsten Entwicklungen werden aus der Sicht der jungen Grete geschildert. Wie sie versucht den Erwartungen des feinen, gebildeten Hermann zu entsprechen, wie sie sehnlichst auf seinen nächsten Besuch wartet und wie sie sich so nach einem Zusammensein mit ihm sehnt, dass sie der Mutter den Schlaftrunk gibt. Wie dann die Mutter nicht wieder aufwacht, sie selbst schwanger wird, keinen anderen Ausweg weiß, als das Kind zu töten, und dafür zum Tode verurteilt wird. So erzählt sie selbst ihre Geschichte von einem Mädchen, das zu träumen wagte, das im ersten Anlauf scheitert und dennoch sich ihren Traum erfüllen kann. Wie Gronau es schafft, dieser Frau dennoch ein Happy End zu schenken, ist ein Kniff, der wunderbar zu dieser Geschichte passt, die Dramatik, Leichtigkeit, Humor, Liebenswürdigkeit, Charme, Naivität, Traum und Hoffnung geschickt zu verbinden weiß.

Wenn die Stimme des angebeteten Faust aus den drei allten Kassettenrekordern knarzt, die immer wieder aussetzen, wenn die Hintergründe einfach per Projektor an die Rückwand geworfen werden und wenn eine Rose gen Bühnedecke schwebt - dann sind das nur ein paar der Einfälle, die diesen Abend ganz besonders machen. Doch ohne die darstellerischen Fähigkeiten der wunderbaren Schauspielerin Claudia Wiedemer wären sie nichts. Sie spielt die Grete mit einer unschuldigen Unbdarftheit spielt, die nur ab und zu eine Keckheit durchschimmern lässt. Ihr spitzbübischer naiver Charme und ihre Fähigkeit in Sekundenschnelle zwischen den Rollen und Tonfällen zu wechseln, machen ihn zu einem großen Genuss.

Birgit Schmalmack vom 5.6.21