Against the whiteness

Die neu gestlatete Bühne des HAU 1


Zwei Kurzfilme standen im Mittelpunkt der Gespräche, die Anguezomo Nathalie Mba Bikoro mit den Künstlern Quinisy Gario und Ligia Lewis an diesem Abend auf der Bühne des HAU 1 führte. "Against the record" war er überschrieben. Denn es geht um Hinterfragung der bisherigen Deutungshoheit einer Gesellschaft, die Whiteness zum Systemkonstrukt erklärt hat.

Die verwackelten Aufnahmen, zum Teil unscharf und unterbelichtet, zeigen eine bunte, feiernde, tanzende Menge von People of Colour. Doch die Umgebung mutet nordeuropäisch an. Eine weiße Zuschauerschaft blickt auf schwarze Performer*innen. Das dokumentarische Filmmaterial stammt aus dem Jahre 1983. Es zeigt den ersten Karnevalsumzug in Uetrecht. Während sich beim Zuschauen gemischte Gefühle auftun, erklärt der Filmmacher Rudsel Martinus später im Interview über Zoom mit Bikoro und seinem Neffen, dem Aktivisten und Performer Quincy Gario, dass für ihn dieses Event zunächst aber ein überaus positives Erlebnis war. Zum ersten Mal versammelten sich schwarze Menschen in den Niederlanden. Sie konnten sich verbinden und ihre Größe spüren. In seinem Schlussstatement am Ende des Filmes erklärt er jedoch, dass er Befürchtungen habe, dass dieser Karneval von der Stadt benutzt werden könnte. Genau das passierte dann auch: Das Stadtmarketing von Uetrecht und Rotterdam entdeckten das Potenzial dieser bunten lebensfrohen Veranstaltung und vereinnahmten sie für sie: Nun war es der Sommerkarneval.

Der zweite Filmbeitrag am Abend „Against the record„ im Rahmen des Festivals im HAU war eine filmische Dokumentation der neuen Choreographie von Ligia Lewis „Deader than dead„. In ihr geht es ihr um die Auslöschung von schwarzen Körpern. Sie werden nicht nur negiert, sondern auch überschrieben und in den weißen Kontext eingepasst. Lewis will die Deutungshoheit zurückgewinnen. Sie will durch ihre verstörende, aufgeladene und intensive Arbeit zeigen, welche existenziellen Auswirkungen die Aneignung der schwarzen Körper durch die weiße Hierarchiestrukturen hat. Immer wieder brechen die Tänzer auf der gelben Bühnenfläche unter dem Geflacker der Neonlichter zusammen. Die Masken, die sie tragen, nehmen ihnen selbst die Luft zum Atmen. Eine ausdrucksstarke Arbeit, die schon durch die kurzen Ausschnitte der dokumentarischen, multiperspektivisch zusammengeschnittenen Filmaufnahmen den Wunsch aufkommen ließ, diese Choreographie unbedingt live auf der Bühne zu erleben.

Birgit Schmalmack vom 2.10.20