Bis das Fallbeil fällt

Berlin, ein Plan, zwei Jobs, NIE-Theater

Bis das Fallbeil fällt

Warum müssen Kunst und Technik immer ein Gegensatzpaar bilden? Das fragt sich Marti, als er endlich wieder aus seinem Koma aufwacht. Und zwar im Krankenzimmer des genialen aber erfolglosen Ingenieurs Dr. Tobler. So wird er in seiner Assistentenrolle, für die er nicht nur von ihm engagiert worden ist, aktiv und bringt dafür seine beiden Arbeitgeber:innen zusammen: die Opernregisseurin und den Erfinder. Damit sie endlich an das Geld der Investoren kommen, das sie für ihre jeweilige Vorhaben brauchen. Denn ganz ohne Geld funktioniert ihr Idealismus dann doch nicht. Noch so tolle Ideen scheitern am mangelnden Geld. Wer wüsste das besser als das Team des NIE-Theaters, das für diesen Abend unter dem Titel " Berlin, ein Plan, zwei Jobs" verantwortlich zeichnet. Denn sie machen weiter, trotz Umbaus des Hauses der Statistik am Alexanderplatz.

„Der Gehilfe“ von Robert Walser bildet die Grundlage für diese neue Produktion, die Christoph Reinhardt auf die Berliner Verhältnisse angepasst hat. Wie stets beim NIE-Theater changiert das Stück geschickt zwischen ideologischem Anspruch und spielerischer Experimentierlust mit dem Spaß am zeitweiligen Nonsense. Das Gebiet in und um den Container OTTO wird voll ausgenutzt. Mit Live-Kamerafahrten, die auch zufällige Berliner Passanten mit einbezieht.

Kann Theater die Welt verändern? Liegt die Lösung in der Kunst oder kann Technik hilfreich sein? Alles eine Frage der Dramaturgie, befinden die Leute auf der Bühne. Man müsse den richtigen Zeitpunkt für die richtigen Fragen finden. Doch Marti scheint ihn nicht gefunden zu haben. Denn auf der Bühne steht neben seinem Krankenbett auch ein Schafott. Als die Investoren auf der extra angesetzten Feier zur Präsentation der neuen Erfindung skeptisch bleiben, legt Marti sich unter das Fallbeil.

Der Stoff von Robert Walser ist überraschend aktuell. In Berlin werde er zu seinem wahrhaftigen Vergnügen erfahren, was die Welt von ihm wolle und was er seinerseits zu wollen habe, so meinte er in seinem Roman. In Berlin zeigen sich auch heute alle gesellschaftlich-politischen Entwicklungen wie unter einem Brennglas. Dem folgt das Produktionsteam unter der Regie von Jakob Gerber sehr konsequent und engagiert. So laviert die Stadt zwischen Geld und Freiheit, zwischen Wirtschaft und Kunst. Bedeutet es das Ende der künstlerischen Freiheit, wenn das Geld die Herrschaft übernimmt? Das ist nicht zu hoffen. Was dann fehlen würde, das zeigt das NIE-Theater immer wieder. Denn er lebt von der überbordenden Energie und Spiellust aller Beteiligten. Diesem überspringenden Spirit kann sich kaum jemand im Publikum entziehen. Begeisterter Applaus am Ende. Low Budget, aber umso mehr Spaß und Kreativität. Bis das Fallbeil fällt.

Birgit Schmalmack vom 20.7.23




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Wir sind nicht nett, Nie-Theater