Traurige Clowns unter sich


Ganz besondere Sommergäste sind zu Besuch im Hinterhof der Brotfabrik. Sie sind aus Rostock gekommen und haben Outfits (Kostüme: Nicole Ungefug) angelegt, die selbst in Berlin für einiges Aufsehen sorgen könnten. Eigentlich glamouröse Abendkleidung mit viel Glitzer und Spitze, die aber an vielen Stellen Verfallserscheinungen aufzeigt, haben sie angelegt. Dazu Kopfbedeckungen, die sie der Lächerlichkeit preisgeben. Mal mit gehäkelten oder geflochtenen Hörnchen, die sie sich auf dem Kopf festbinden, mal mit verrutschten Blumenkränzen. Dazu weiß geschminkt, mit kleinen roten Kreisen auf den Wangen. Und größtenteils mit Gummischuhen an den Füßen.
Eine sehr skurrile Gesellschaft kommt hier also zusammen. Ihr Auftreten ist schrill, laut und egozentrisch. Jedes Ankommen wird mit einer Lautstärke angekündigt, dass es niemand überhören kann. Man schreit, man kreischt, man wirft sich auf den Boden. Aufmerksamkeit um jeden Preis. Dezent zurückhaltend ist hier keiner. Doch so sehr sie sich alle um Krawall bemühen, so sehr verstecken sie doch im Grunde nur ihre Traurigkeit. Sie sind alle depressive Clowns, die mit ihrer Show offensiv ihre Abgründe verbergen wollen. Oder wollen sie vielmehr auf sie aufmerksam machen? Denn es dauert meist nicht lange, bis jemand bekennt: „Ich bin so traurig.“ Sie scheinen eigentlich nur darauf zu warten, von ihren Gefühlen zu sprechen. Denn sie hoffen auf Verständnis oder sogar Rettung durch das Gegenüber. Doch vergebens, jeder, den sie treffen, ist genauso hilflos wie sie selbst.
Aber diese Menschen sind nicht nur verloren und unangebunden, sondern auch furchtbar gelangweilt. Auch diese Leere soll ihre ständige aufgeregte Selbstinszenierung kaschieren. Doch es nützt alles nichts. Die Sinnlosigkeit Ihres Lebens erschlägt sie jedes Mal, wenn sie wieder an die Oberfläche ihres Bewusstseins bricht.
Eine Aura der Bodenlosigkeit umgibt alle. Doch diese fehlende Basis dekorieren sie mit großen Aufwand. Sie versuchen die Fassade aufrecht zu erhalten. Schließlich sind sie angesehene Repräsentanten der Gesellschaft und mit so viel Geld ausgestattet, dass sie sich ihre Taten- und Ziellosigkeit leisten können.
Ganz im Gegenteil zu den beiden Menschen, die sich zu Beginn durch die Reihen der Zuschauer:innen gedrängelt haben, mit einem dicken Sack auf dem Rücken. Sie sind bettelarm und immer auf der Suche nach der nächsten Möglichkeit Geld zu verdienen, um etwas zu essen zu haben. Diese Tagelöhner können sich das Nachdenken über ihre Befindlichkeiten nicht leisten, sie müssen ständig um ihr Überleben kämpfen.
Das jun ge Schauspiel-Ensemble des drit ten Stu di en jah res der HMT Ros tockhat zusammen mit Regisseur Moritz Rux das Stück „Sommergäste“ von Maxim Gorki für ihre kleine Sommertournee ziemlich krass gegen den Strich gebürstet. Die von Langeweile geplagte, feine Gesellschaft, die sich im Original gepflegt zur Sommerfrische auf dem Land versammelt und sich in gesellschaftlichem, wohlsituiertem Smalltalk ergeht, wird hier zu einem überdrehten Haufen trauriger Clowns. Sie machen alle um ihr eigenes Ego eine riesengroße Show, kreisen nur um sich selbst und sind zu jeder Kommunikation mit einem Gegenüber unfähig.
Die Inszenierung lebt von einer großen Fallhöhe. Startet sie und bleibt sie doch sehr lange auf hohem Komikniveau, mit massenhaft Slapstickeinlagen, in enormer Lautstärke und mündet ganz zum Schluss doch mit viel Sinn für die Zwischentöne in einer leisen, maßlosen Melancholie. Die ständige Aufgeregtheit erschwert es jedoch, einzelnen der Personen näher zu kommen oder gar Verständnis für ihre Probleme zu entwickeln. Sie werden in diesem Inszenierungsansatz eher zu austauschbaren Figuren auf dem Spielbrett des Zeitgeistes. Doch als Zustandsbeschreibung einer aufgeregten Gesellschaft nicht ganz unzutreffend. In jedem Fall: Das sehr junge Ensemble beeindruckt durch große Präsenz und Spielfreude, die gerade in der intimen Setting der kleinen Hinterhofbühne der Brotfabrik in jedem Moment zu spüren war.
Birgit Schmalmack vom 8.8.24




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Interlude, Brotfabrik