Einmal im Rampenlicht stehen


Wer träumte nicht schon einmal davon, auf der Bühne seinen Traum zu verwirklichen und im Scheinwerferlicht zu stehen. Diese Gelegenheit bietet nun ausgerechnet der Shutdown der Theater. Nils Förster, der künstlerische Leiter der Brotfabrik, nutzt den Freiraum, der sich durch die Absage aller geplanten Aufführungen in seinem Haus bietet, für ein eigenes Projekt.
Es beginnt ganz unverfänglich im Hinterhof des Kulturzentrums. Zunächst setzt man sich die Kopfhörer auf, lädt die Audiowalk-Datei auf sein Smartphone und fühlt sich eher wie in einem beschaulichen Museumsrundgang. Die Stimmen auf den Ohren verraten einem, was sich alles in dem verwinkelten Gebäudekomplex befindet. Man lernt durch ihre Stimmen die Mitarbeiter*innen in der Galerie, in der Küche, in der Kneipe, im Kino und im Theater kennen. Dabei nähert man sich fast unbemerkt dem Eingang zur Bühne. Doch zunächst gilt es die mit Daten gekennzeichneten Stufen zu erklimmen. Denn die bürokratischen Hürden zu Beginn und während des Shutdowns wollen in Erinnerung gerufen werden. Der Weg zur Bühne ist ein beschwerlicher, soviel wird klar.
Doch dann endlich: Das Licht weist einem den Weg auf einen der vielen freien Plätze im Zuschauerraum. Ganz alleine sitzt man nun hier, wo sonst 60 Leute mit einem gespannt auf die Aufführung warten.
Auf der ansonsten leeren Bühne steht ein einsamer Ständer mit einem Mikrofon. Wird noch jemand auftreten? fragt man während die Stimmen von dem erzählen, was sie sich am meisten freuen, wenn die Theater wieder öffnen sollten. Auf eine weitere Tosca-Inszenierung, eine Bibel-Umsetzung, Komödien oder auf die erwartungsvolle Stille vor dem Beginn einer Aufführung?
Dann wird klar: Es ist kein anderer da, als man selbst. Also ab auf die Bühne. Die Scheinwerferlicht geht an. Geblendet vom vollen Spot erkennt man nichts mehr, ist nun wirklich ganz mit sich alleine. Derweil berichtet Michael von seinen Auftritten als Daisy Orkan, die ihn jedes Mal in Euphorie versetzten. Vielleicht jetzt einmal ausprobieren? Die genauen Anweisungen von Michael für die Interpretation des Songs Goldfinger folgen. Jetzt Arm hoch, jetzt die Hüften kreisen, jetzt die Lippen bewegen!
Als die Scheinwerfer erloschen sind, folgt die Ernüchterung. Ab in den Supermarkt. Hier bietet sich ein trauriges Bild: aufgerissene Mehltüten, nur unbekannte Nudelsorten und kein Toilettenpapier. Als in Coronazeiten die Leute für Dinge des Alltags plötzlich bereit waren, mehr Geld als sonst auszugeben, gab es dagegen andere Angebote völlig umsonst: Kultur war nur noch als Gratis-Streaming-Angebot zu bekommen. Hat die Kunst plötzlich keinen Wert mehr? Der Blick auf die Supermarktkasse zeigt in der langen Liste der gekauften Dinge bei den Kulturitems bloß 0,00€ oder "Spende erwünscht" an. Per Klebebutton darf man seine eigene Spendenbereitschaft testen.
Nachdem man mit einer Pastorin über die Gemeinsamkeiten von Gottesdiensten und Theatervorstellungen nachgedacht hat, öffnet sich der Blick auf den Caligari-Platz vor dem Theater. Tatsächlich, es gibt noch andere Menschen. Könnten sie Darsteller*innen in einem Stück sein? Merkwürdig, danach geht es in die Garderobe an den Schminktisch. Michael erzählt, wie es sich für seine Rolle als Daisy Orkan vorbereitet. War man nicht schon gerade eben auf der Bühne? wundert man sich noch. Durch den Flur wird man nun mit einigen nachdenklichen Fragen versehen wieder in die Welt außerhalb des Theaterkosmos entlassen. Die Theatertür öffnet sich und man betritt den eben noch von oben betrachteten Caligari-Platz. Sanft wird man in seinen Mittelpunkt dirigiert.
Der Audio-Walk wird zu einem Parcour der Theater-Selbsterfahrung, bei dem man zum Rollentausch behutsam angeleitet wird. Vom Geführten, Zuschauenden, Probenden, Betrachtenden zum ....?
Birgit Schmalmack vom 29.7.20




Theater geht Wie viel ist uns die Kunst wert?


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