Rettender Wahnsinn


Dieser Mann hat immer noch Visionen. Während vieler seiner Zeitgenossen diese Idealvorstellungen schon aufgegeben haben, hat der Herr Professor immer noch einen Wunsch, den er unbedingt in die Realität überführen will: Er will einen „Garten der Lüste“ erschaffen, in dem die Menschen wieder frei von dem Gefängnis ihrer erworbenen Zivilisation leben können. Denn dafür hält er all die Regeln und Konventionen, die die menschliche Gesellschaft bestimmen, die geradezu als Versinnbildlichung seiner Menschwerdung gelten. Erst wenn er sich all diesen Vorschriften der Gesellschaft unterworfen hat, gilt er als vollwertiges Mitglied. Nun da der Professor in Rente geht, braucht er sich und seiner Umwelt nichts mehr beweisen, er ist frei seinen Garten zu gestalten.

In der Box des Deutschen Theaters kommt man als Publikum aber nicht in grünes Paradies, wie man erwarten könnte. Sondern in ein Schaukabinett, das für die Zuschauer:innen, die im Rund um die Bühne herum Platz nehmen, nur ein Guckloch und eine Aussparung für die Beine in die Pappmachékulisse freigelassen hat. Man soll sich ein Bild machen, aber nicht eintauchen dürfen. Denn entgegen seiner ursprünglichen Vorstellung gibt es sehr wohl Zuzugsbeschränkungen auch zu dieser Welt. Nur diejenigen, die sich als echte Wilde all ihrer vorherigen Bildungsbürgerlichkeiten entledigen können, haben hier Zutritt. Theaterzuschauer:innen gehören wohl nicht dazu, sie sind zum Zuschauen verdammt.

Doch diese Guckkastenbühne lässt nun nicht in ein Schlingpflanzen-Dickicht blicken sondern in eine pinke Pappwelt. Ein Schaukelpferd, ein Gartenzwerg, ein paar Gliedmaßen und eine Plüschdecke sind die einzigen Requisiten in dieser reinen Welt der Worte und der Fantasie. Diese kommen alle aus einem Munde, aus dem von Kathleen Morgenneyer. Sie spielt all die Geschöpfe, die zu dieser neuen Welt Zutritt haben. Mehr braucht dieser brandneue Text des Kongolesen und Österreicher Fiston Mwanza Mujilas nicht. Sie ist alle in einer Person, nur durch eine Haltungs- oder Tonfalländerung wird sie zu Valentin, Alfons oder zum Professor und zu seiner Frau. Zum Schluss, wenn das Scheitern der Vision greifbar nahe ist, sogar zum Schwein, das unter all den Tieren, die im „Verein der ungeliebten Tiere“ Mitglieder geworden sind, die allererste Stellung einnimmt. Es beschreibt unter der Decke mit dem einzigen weiteren Mensch in Raum, der Musikerin Katharina Ernst, die Besonderheiten, die Eigenarten und die Eigenschaften des Menschen, ganz so als wenn es jetzt statt seiner die Kriterien der Einsortierung bestimmen würde.

Mujilas sieht die einzige Rettung der Welt in der Sprache. Nur die Literatur, die Poesie und die Fantasie ist in der Lage das Rettende aufzuzeigen. Auch wenn es wie unter der Regie von Carina Riedl einen Platz in einer kleinen Pappmachékulisse zugewiesen bekommt und uns nur einen kurzen Einblick gewährt.

Birgit Schmalmack vom 12.1.22