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Mit dem Tüffi raus aus der Mittelmäßigkeit |
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Seit der Orgi jemand Neues angeschleppt hat, ist ordentlich Unruhe in sein soziales Umfeld gekommen. Obwohl sie alle ein wenig darunter leiden, dass sie nur so „Rumexisten„, scheuen sie aber jede Veränderung, denn die würde auch ihre finanzielle Situation verschlechtern. Sie sind sich wohl bewusst, dass sie alle sie nur von der Sonne und den Zuwendungen des Herren Orgon (Felix Goeser) leben. Doch der Orgi, wie sie ihn alle verniedlichend nennen, hat einen Störenfried in ihr wohl ausbalanciertes System eingeschleust: den Tüffi. Denn Orgi wünscht sich einen Ausgang aus seiner Mittelmäßigkeit, in der er sich mit seinen Leuten so prächtig eingerichtet hat. Schätze er bisher gerade die richtige Entfernung zu den Dingen, kam ihnen nie zu nahe, entfernt sich aber nicht zu weit von ihnen, ahnt er nun, dass es an den Rändern seiner Mittelbarkeit heftig zu flackern begonnen hat. Die Aneinanderreihung allen „OK-en„ mache eine Grauenhaftigkeit auf, so konstatiert er.
Man kann ihn verstehen, sein Hofstaat ergeht sich in stundenlangem Herumgerede, in Labereien, in denen sie sich vorsichtig umtänzeln, nie eine klare Meinung äußern und sich nach allen Seiten absichern. So ist ein Gegenpol gefragt. Der nähert sich vom Balkon her: In Form eines Mannes (Bozidar Kocevski), der sich in einem rosa Anzug mit hervorquellenden Brusthaaren eine Tarnung als Schwein zugelegt hat, das nur grunzend seine Statements hervorbringt. Zum Glück versteht ihn der Schwager Cleante (Moritz Grove) und übersetzt dienstbeflissen. Workshops böte er an, so viel wird klar. Speziell Einzelworkshops mit den anwesenden Frauen hätte er im Angebot. Doch ohne das Einverständnis der Frauen geht in diesen aufgeklärten Zeiten nichts mehr, und die Frauen reagieren äußerst zurückhaltend. Also zunächst ein Gruppenworkshop! Gekleidet in Nacktkostüme wirken alle wie ununterscheidbare Würmer und sollen ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Schnell verliert der Tüffi die Lust und jagt alle „Schwanzlutscher„ von der Bühne, um endlich mit Orgis Ehefrau alleine zu „kontextualisieren". Er reißt sich die Silikon-Maske vom Gesicht und offenbart, dass alle seine Worte eigentlich bloß eine Aneinanderreihung von Penissen seien, denn eine kapitalistische Gesellschaft sei schließlich ein System der Ausstülpungen. Angewidert muss sich Elmi (Natali Seelig) übergeben. Zum Schluss erkennt selbst ihr Ehemann: Tüffi ist ein Blender wie alle anderen. Bevor er über die Balkonbrüstung verschwinde, macht er allerdings allen Anwesenden noch seine große Rechnung auf.
Der Originaltext von Moliere ist ein Klassiker, seine Handlung und Personen so entlarvend wie nervig. Zum Glück hat Regisseur Jan Bosse ihn mit der Übertragung von Peter Licht in die Jetztzeit geholt und seinen Fokus eher auf die Zustände innerhalb des Hofstaats als auf den Titel gebenden. Besserwisser gelenkt. Seine Enttarnung nimmt angemessen an seinen mageren Diskursbeiträgen viel weniger Raum ein als im Original. Die labersüchtige Mittelmäßigkeit und ausbalancierende Uneindeutigkeit seines Sozialumfelds bekommt dagegen die vergnügliche Bühne, die ihnen zusteht. So dürfen sie sich mit ihren musikgeschwängerten Albernheiten, die die Nähe zur Intellektualität stets unterstreichen wollen, selbst bloßstellen. Eine so unterhaltsame Neufassung des alten Textes ist eine würdige Neueröffnung der Openairbühne auf dem Vorplatz des Deutschen Theaters. Zum Glück hat Bosse mit dem Ensemble auch die Persönlichkeiten zur Verfügung, die in der Lage sind diesem Unsinn die Ahnung einer Metaebene zu geben.
Birgit Schmalmack vom 31.5.21
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Tartuffe im DT Foto: Arno Declair
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