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Ein bisschen Weltuntergang kann nicht schaden |
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Ein 18Jähriger Mann hat sich am 6. März 2003 verbrannt. genau an der Stelle, an der zuvor mit ähnlichen Aktionen Geschichte geschrieben worden ist. Doch sein Tod blieb ohne Folgen. Im Gegensatz zu der Selbstverbrennung Jan Palach und Jan Zajíc von 1969 als Protest gegen die Niederschlagung der Prager Frühlings blieb diese Tat ohne Eintrag in die Geschichtsbücher, sogar fast ohne Medienecho. Warum wohl? Darum dreht sich das neue Stück von Peter Handke. Natürlich ohne eine Erklärung dafür zu liefern. Jossi Wieler hat am Deutschen Theater eine deutsche Uraufführung für die Kammerspiele realisiert, die genau dem Ton Handkes verpflichtet bleibt. Da treffen sechs Spieler*innen (die es im Stücktext nicht gibt) in einer mit Ikonen geschmückten Wartehalle aufeinander. Sie sind anscheindend Musiker*innen auf dem Weg zu ihrem Konzert. Hier unter den Augen der weiblichen Heiligen suchen sie einen Zwischenraum der Abgeschiedenheit, der Sicherheit, der Ruhe, in dem sie ihren Gedenken freien Lauf lassen können. Bevor sie wieder ihre Instrumente greifen und zum nächsten Termin fahren. Hier sinnieren und philosophieren sie über die Tragik des Lebens. Wieler hat den Text auf die sechs Personen verteilt, die er zu Charaktere zu formen versteht. Da ist die Chronistin (Regine Zimmermann), die die genauen Fakten besteuern kann, da ist die gestrenge Pedantin (Linn Reusse), die auf die Einhaltung der Normen achtet, da ist der leichtfüßige Mann (Marcel Kohler), der alle Details mit seiner Kameras festhalten will, aber die große Zusammenhänge nicht ins Auge fassen möchte, da ist der übernervöse Neurotiker (Bernd Moss), der ständig nach seinen Zigaretten sucht und sich immer benachteiligt fühlt, da ist die behände Junge (Lorena Handschin), die ihre Zuflucht in dem Ausschmücken von Geschichten sucht und da ist schließlich der Dauerredner (Felix Goeser), der dem jungen Handke ziemlich ähnlich sieht. Hin und wieder gibt es noch einen weiteren Mitspieler, die Wurlitzer Jukebox. Zunächst mit irritierenden Tönen und schließlich mit einer kompletten Zeitungsnachricht, die mit österreicherischen Akzent vorgetragen wird. Vielleicht von Handke selbst? Was trieb Zdeněk Adamec zu seiner Tat? Vielleicht war es Einsamkeit, Zurückweisung durch ein Mädchen, der fehlgeschlagene Hackerangriff, die überbehütende Mutter? Doch alle Vermutungen werden sogleich mit einem "Woher weißt du das?" quittiert. So wird es fast egal, warum dieser junge Mann nun zu diesem endgültigen Schritt gegriffen hat. Diese Sechs finden in ihrer Erinnerung genügend Gründe, die verzweifeln ließen. Da werden in der heutigen Gesellschaft lauter Scheinaktivitäten diagnostiziert. Viel ist von Weltuntergang die Rede. Dem einen gibt er einen kurzfristigen Energieschub, bei dem anderen löst er einen Reflex zur sofortigen Selbsttötung aus. Zeigten sich schon im Laufe der Aufführung Risse in dem sicher geglaubten Heiligenkabinett (Bühne: Jens Kilian), so zerspaltet es sich zum Schluss in vier Teile, während die Musiker*innen als letzte Haltestange schnell nach ihrem Instrument greifen. Ein Abend, der in seiner poetischen Verrätseltheit gefangen nimmt. Doch das gelingt nur, weil alle Schauspieler*innen exzellent sind. Wieler hat es verstanden mit seinem Team genau den Schwebezustand zwischen Tiefschürfigkeit und Ironie zu treffen, der Handkes Text nachvollziehbar werden lässt. Birgit Schmalmack vom 4.11.20
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Foto: Arno Declair
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Zdenek Adamec, Deutsches Theater Selbstvergessen, DT
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