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Operette für zwei schwule Tenöre, Schmidtchen

Operette für zwei schwule Tenöre

Schmidtchen

„Leben auf dem Land bedeutet nicht Natur, sondern


„Leben auf dem Land bedeutet nicht Natur, sondern Auto.“ Das ist die profunde Erkenntnis von Jan, der auf dem Dorf aufgewachsen ist und bis heute hier lebt. Ohne Internet und Auto könnten Schwule hier nicht überleben, die Dating App seien ihre Rettung. Das sieht Tobi, der aus der Großstadt hierhergezogen ist, ganz anders. Er ist so stolz darauf, dass er Jan im echten Leben kennen gelernt haben. Er ahnt nicht, dass es kein Zufall war, dass sie auf dem Schützenfest direkt voreinander standen. Da hatte Jans Schwester ein wenig Amor gespielt. So träumt Tobi weiter vom unbeschwerten Leben auf dem Lande, während Jan immer mehr Fehler entdeckt - an seinem Dorf wie an seinem Partner. Den Ausschlag gibt ihr 4. Jahrestag, an dem Jan es wagt, Champagner von Aldi zu besorgen. Ein Unding für den um Stil bemühten Tobi.

Jan verschwindet nach Berlin und genießt dort, dass er sich sein bisher angelerntes ständiges Unauffälligmachen und Verstecken verlernen darf. Doch zum 5. Jahrestag kehrt er anlässlich des Schützenfestes zurück. Die Beiden haben sich noch einiges zu sagen.

Warum erzählen wir unsere Geschichte als Operette? Operette heißt auch träumen zu dürfen. Und für ein paar Jahre hatten die beiden eine traumhafte Zeit. Die Operette erlaubt, dass Gefühle zu Melodien werden können. So dürfen die Beiden all ihren Wünschen, Verletzungen und Sehnsüchten, die sie schon seit ihrer Jugend mit sich herumgetragen haben, Ausdruck verleihen, sowohl in ihren Monologen wie auch in ihren Songs.

Dass ihre Vorstellungen dann doch nicht kompatibel sind, gibt dieser Operette zwar kein Happy End, aber doch ein hoffnungsvolles und positives Ende. „Ein Liebeslied von Mann zu Mann hätte mir als Junge so gutgetan.“ Diese erste schwule Operette von Florian Ludewig (Musik) und Johannes Kram (Text) ist seit Jahren ein Dauerbrenner auf zahlreichen Bühnen Deutschlands. So danken die Darsteller am Schluss allen, die vor ihnen dafür gekämpft haben, dass schwule Menschen mittlerweile mehr Sichtbarkeit haben. Begeisterter Applaus auch im Schmidtchen in Hamburg. Das lag nicht zuletzt am ausgezeichneten Cast. Tobias Rose und Alex Irrgang glänzen als unterschiedliches Paar. Der eine purer Durchschnitt ohne jede Vorliebe für einen Fetisch außer dem für die Operette und das Kerzen Ziehen. Jan dagegen der abenteuerlustige Dorfjunge, der aus genau der Enge fliehen will, in der Tobi die Beschaulichkeit sucht. Die drei weiteren Mitglieder des Casts singen, tanzen und spielen, dass es fast die kleine Bühne sprengt. Eine sehenswerte Aufführung mit allem, was einen lohnenden Abend ausmacht: zu Herzen gehende Liebeslieder, Texte, die ohne jedes Klischee auskommen, fein gezeichnete Figuren und trotz fehlenden Happy Ends ein hoffnungsvoller Rückblick auf Erreichtes.

Birgit Schmalmack vom 24.12.25

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