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De Schimmelrieder, OHNSORG

De Schimmelrieder, Ohnsorg

Fotografin Sinje Hasheider

Veränderung gegen Beharrung

Gott gnaad de annern. Gott, verschone die anderen. Das schreibt Hauke zu Beginn mit einem Schwamm an die schwarze Wand. Dann tritt er zurück und steht mitten in einer breiten Wasserrinne, die fast den ganzen Bühnenraum ausfüllt. Er kniet sich hin. „Der Priel muss doch abzudichten sein.“ Doch dafür stehen ihm nur ein paar Sandsäcke zur Verfügung.

Schon diese erste Szene gibt die Atmosphäre der Inszenierung von Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ im Ohnsorg Studio vor. Hauke ist schon seit seiner Jugend ein eigenwilliger schlauer Kopf. Er stellt die vorgegebenen Regeln in Frage, wenn sie für ihn keinen Sinn machen. Und das ist für ihn in Sachen Deichbau der Fall. Nach seinen Erkenntnissen ist der Deich, der zurzeit für die Sicherheit der Koogbewohner sorgt, nicht sicher genug, um auch in Zukunft nicht zu brechen und nicht die Tiere und Menschen zu gefährden. Doch mit dieser Meinung steht er fast alleine da. Nur eine junge Frau, die Tochter des jetzigen Deichgrafen, Elke findet seine Vorstellungen faszinierend, so wie sie auch den Mann anziehend findet. Hauke heuert als neuer Knecht auf dem Hof ihres Vaters an. Als der Vater stirbt, heiratet er nicht nur Elke, sondern wird auch der neue Deichgraf. Gleich beginnt er mit den Arbeiten für den neuen Deich. Doch die Dörfler scheuen nicht nur die viele Arbeit, sondern glauben mehr an die alten Überlieferungen als die neuesten Berechnungen. So gibt es viele, die Hauke Knüppel zwischen die Beine werfen. Doch Hauke setzt sich gegen alle Widerstände durch. Endlich steht sein neuer Deich, doch die Anbindung an den alten birgt noch Gefahren für einen Durchbruch. Zusätzlich heizen Gerüchte die Widerstände aus der Dorfbevölkerung an. Hauke hat sich einen Schimmel angeschafft, den manche aus dem Dorf nun des Nachts über das Watt geistern sehen. Steht Hauke mit dem Teufel im Bunde? Hauke zieht sich immer mehr in seine Kleinfamilie zurück und wird immer unduldsamer mit den Leuten aus dem Dorf. Als ein herbstlicher heftiger Sturm aufzieht, reitet er mit seinem Schimmel, um den Deich zu bewachen. Er glaubt seine Frau und sein Kind sicher auf der heimischen Warft, Doch dann sieht er sie zu ihm auf den Deich zukommen. Der Hauke Haien Deich steht zwar immer noch, aber diese Geschichte hat kein Happy-End.

Im Ohnsorg Studio lässt Regisseur Ingo Putz mit seinem Dreier-Cast ein hochspannendes Kammerspiel über Fortschritt, Innovation und Ideale im Widerstreit mit Gewohntem, Aberglauben und kleinstem Raum entstehen. Das glückt auch durch das geniale Bühnenbild von Yvonne Marcour, das die Präsenz des Wassers als widerständiges und lebensfeindliches Element jederzeit sichtbar und fühlbar macht. Wenn die Schauspieler:innen im Laufe des Abends immer triefender werden, wenn sie sich mit nasser Kleidung, vollgesogenen Sandsäcken und Schuhen versuchen, den Kopf über Wasser zu halten, ist das auf der Bildebene so einfach wie überzeugend. Mit wenigen Requisiten wird eine Imagination der harten Lebenswirklichkeit erzeugt. Aus einem flauschigen Schal wird ein Kätzchen, aus einem gescheckten Mantel der Schimmel, aus den Sandsäcken nicht nur der Deich, sondern auch ein Krankenbett, aus einem weiteren Sack die kleine Tochter Wiebke. Faszinierend sind die Einfälle, die jedoch nie zum Selbstzweck werden, sondern sich ganz in den Dienst der Geschichte stellen. Doch all das würde nicht zusammenfinden, wenn die drei Schauspielenden nicht so einfühlsam und wandlungsfähig wären. Marco Reimers spielt den Mann, der einzig der Vernunft und den Erkenntnissen der Wissenschaft vertraut. Energie in die Überzeugung anderer Menschen zu stecken, erscheint ihm überflüssig. Er glaubt fest an die Kraft des Faktischen. Kristina Bremer spielt die selbstbewusst zu ihrem Mann haltende Ehefrau Elke, aber ebenso die alte Trine, einen abergläubischen Knecht oder den Dorfpfarrer. Stephan Möller-Titel schlüpft in alle weiteren männlichen Rollen, wie die des Vaters, des Deichvorstehers und von Haukes Konkurrenten Ole, der diesem zutiefst misstraut. Eine rundum gelungene, absolut sehenswerte Aufführung im Ohnsorg Studio, die interessanten Schlaglichter auf eine transformationsunwillige Gesellschaft wirft und damit auch heutzutage noch aktuell ist.

Birgit Schmalmack vom 29.12.25

Zur Kritik von

NDR
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