Asche, Thalia
Ob man dann die mäandernden Sätze von Jelinek in Gänze versteht, wird zweitrangig, weil man so fasziniert ist von den schönen Bildern, die hier entstehen. Ob nun die Kinder an dem von der Decke baumelnden Riesenkreuz ihre Künste zeigen, ob sie Spagat im Würfelkantenmodell vollführen oder auf einem Riesenball balancieren, alles ergibt zusammen mit der Live-Musik von Matthias Jakisic, ein Gesamtkunstwerk, dem man sich gerne hingibt und von ihm berauschen lässt. Dabei kann man auch die Frage, ob alle Bestandteile zum besseren Verständnis des Textes beitragen, getrost beiseite schieben. Zu beeindruckend ist der Gesamtsog. Nimmt Steckel den Text auch anders als Stemann, der ansonsten am Thalia für die Inszenierung von Jelinek Texten zuständig war, vorgeblich ernst und unironisch, so setzt sie ihm doch einen eigenen Entwurf entgegen und geht nicht weniger spielerisch mit ihm um. (Foto: Foto: Armin Smailovic)
Die Möwe, Körber
Ohne dass Peil das Stück in seiner Gänze nachspielen muss, kommt er seinem Inhalt sehr nahe, denn es scheint ganz aus der Lebenswirklichkeit seines Teams (und des Publikums beim Körber Junge Regie Festival) gegriffen zu sein. So flogen am Schluss die Rosen in großen Mengen auf die Bühne.
Körber 2025, Thalia
Paula Schlagbauer von der Otto Falckenberg Schule widmet sich in ihrem Stück "Bavarokratie", das zusammen mit einem multiprofessionellen und multikulturellen Team aus Deutschen und Griechinnen entstanden ist, weniger den politischen Verwicklungen als vielmehr dem Zusammentreffen der beiden Kulturen, das durch die ungleichen Machtverhältnisse belastet ist. Klar erschien das Konzept der zweiten Inszenierung am Eröffnungstag, "Im Grünen" von Fides Rosa Wallis und Teresa Jägle von der Uni Hildesheim. Sie trägt zwar das Grün im Titel, aber auf der Bühne sind nur verdorrte Baumstämme zu sehen, die schon lange kein Grün mehr gesehen haben. Ein melancholischer und dennoch humorvoller Abgesang auf die Natur inklusive des Menschen, der sie zerstört hat.
Die schmutzigen Hände, Thalia
Jan Bosse stellt in den Mittelpunkt seiner Inszenierung von Satres "Die schmutzigen Hände", die zur Eröffnung des diesjährigen Hamburger Theaterfestival als Gastspiel des Schauspielhauses Zürich im Thalia Theater zu sehen war, nicht den ideologischen Konflikt um die politischen Auffassungen, sondern die zum Scheitern verurteilte Annahme, dass es um die Suche nach der einen, richtigen Wahrheit gehen würde. Diese muss scheitern, weil genau diese Wahrheit keine Ausflüchte mehr gestatten würde. Hugo sucht und fürchtet sich zugleich vor dieser Eindeutigkeit. Er liebt die Spielchen der Belanglosigkeit, in denen alles möglich ist. Das zunehmende Gefühl der Leere und Langeweile, das sich genau deswegen in ihm ausbreitet, lässt ihn ein williges Opfer für die Ismen in der Parteiideologie werden. In einem Klima der Beliebigkeit, der Dauerevents, der Spaßberieselung gedeihen Ideologien mit strikten Handlungsanweisungen, die das Denken nicht benötigen, hervorragend.
Einhandsegeln, Thalia
Das Buch von Christian Kortmann, das Regisseur Matthias Günther am Thalia Theater als inneren Monolog, bzw. Dialog mit dem Publikum inszeniert, zeigt keinen Mann, der in sich selbst ruht, sondern einen, der nur vorgibt es zu tun. Ganz im Gegenteil: Zum Nachdenken hat dieser Mann eigentlich gar keine Zeit, zu viel hat er als Einhandsegler auf dem Meer zu tun, um seinen Trip zu überleben. Gegen Ende seiner Reise scheint er vor einer Entscheidung zu stehen: Soll er sich dem Zugehörigkeitswunsch zur Gesellschaft unterordnen oder doch im Trost der Einsamkeit seinen eigenen Weg gehen? Doch dieser Möchtegernaussteiger entzieht sich wieder einmal einer Entscheidung und entschwindet zum sanft verklingenden Song von „My Way“. Auch das mehr Behauptung als Realität. (Copyright: Fabian Hammerl)
Legende, Thalia
Das vereinnahmend tolle Ensemble aus russisch-ukrainischen und deutschen Schauspieler:innen springt von einer Rolle in die nächste und zieht mit ihrem charakterstarken Spiel zusammen mit der live gespielten Musik von Daniil Orlov immer wieder neu in ihren Bann. Es verlangt Konzentration, über vier Stunden diesem Überwältigungstheater zu folgen, zumal die Entschlüsselung der Bildersprache nur denen gelingen wird, die sich in der Filmwelt von Paradjanov auskennen und das dürften in Deutschland wenige sein. Doch spätestens wenn am Schluss auf der Rückwand die Worte "Free All Political Prisoners" zu lesen sind, sind im Publikum alle Ermüdungserscheinungen und Rätsel beseitigt und alle zollen in Standing Ovationen dem Kunstwerk, das sie gerade haben sehen dürfen, ihre Achtung, Anerkennung und ihren Beifall.
Barrrbie, Thalia
Emre Akal lockt sein Publikum geschickt in seine Interpretation des Nora-Stoffes hinein. Über seinen Einstieg in totaler Comicästhetik knüpft er an den Barbiefilmerfolg von Greta Gartwig an, um anschließend vor dieser Folie einen neuen Blick auf „Nora, ein Puppenheim“ zu werfen. So wird aus der norwegischen Püppchen, das eigentlich nur als Anhängsel ihres Mannes gesehen wird, eine Karrierefrau im Land des Great and Wunderful, die ihren amerikanischen Traum des Reichtums, des Kapitalismus, des Immer-Immer-Mehrs leben wollte und dabei erkennen muss, dass er eigentlich ein Alptraum ist.
Ubu, Thalia
So wird das scheinbar im privaten Kämmerlein zelebrierte doch noch politisch. Man sollte auf der Hut sein. Das macht Simons auf groteske, drastische Weise klar. Mit Jens Harzer als Mutter Ubu und Marina Galic als ihr Gatte hat er zwei grandiose Schauspieler für diese Kabinettstückchen gefunden, denen man die Fäkalienspiele fast verzeiht, weil ihr Schauspielerhandwerk sie vor dem totalen Abrutschen ins Groteske bewahrt. Dennoch ist das ein Abend, der einiges an inhaltlicher und ästhetischer Flexibilität erfordert. Viele Rätsel werden auch am Ende des Abends ungelöst bleiben. Wer eine Eins-zu-Eins-Übertragung der absurden Wirklichkeit auf die Theaterbühne erwartet hatte, die sich zurzeit allzu leicht angeboten hätte, wird von diesem Abend enttäuscht werden. Einfache Botschaften gibt es nicht. Aber eine eventuell doch: Machen wir es den Machtgierigen nicht zu einfach, indem wir uns einlullen lassen von dem Glauben, dass schon alles nicht so schlimm werden wird. Mit Jarry kann man nur feststellen: Es wird noch viel schlimmer werden. (Foto:Foto: Armin Smailovic)
Ajax und der Schwan der Scham, Thalia
Rüping hat aus der antiken Geschichte um Ruhm und Ehre, in der eine Rüstung (wie heutzutage der Oscar) zu einem Symbol der Anerkennung wird, ein überaus lockeres, wie improvisiert wirkendes Spiel werden lassen, das sehr unterhaltsam den Sprung vom Gestern ins Heute schafft. Mit seinem Ensemble blödelt er sich gekonnt durch die Assoziationen zu diesem Text von Sophokles. Das ist mal mehr und mal weniger stringent, aber immer kurzweilig. Er holt den Stoff aus der Abstraktions- in die Spielebene.
Die Wanze, Thalia
So nutzt Meng Jinghui den Text von Majakowski von 1927 geschickt als Folie für alles, was man durch ihn betrachten möchte. Die einen können in ihm eine Kritik an der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft, an der Bürokratie, die anderen an der Technikverliebheit und an der Manipulierbarkeit der heutigen Welt sehen, ganz entsprechend der eigenen Haltungen.
So enttäuschte das Gastspiel des chinesischen Theaters bei den Lessingtagen zwar nicht aufgrund mangelnder möglicher politischer Aussagen, aber dieses Feuerwerk an Effekten und Energieüberschuss forderte über die pausenlose Dauer von fast zweieinhalb Stunden volle Aufmerksamkeit, Flexibilität und Anstrengungsbereitschaft. Man bekam in jeder Hinsicht eher zuviel als zuwenig geboten.
Jungle Book, reimagined, Thalia
Der Choreograph Akram Khan verwandelt die weltbekannte Geschichte von Rudyard Kipling in ein Comic-Tanzstück. Er versucht mit seinem Ensemble eine Tanzsprache zu finden, die die Bewegungsmuster von Tieren mit denen der Menschen verbindet. Indem die Annäherung von Mowgli mit ihren tierischen Gefährten gelingt, werden ihre Tanzstile auch immer ähnlicher. Zusammen mit dem in jeder Hinsicht ausgefeilten Soundtrack, der die Stimmen der Tiere, die Dialoge mit Mowgli mit den Naturgeräuschen und der Musik verbindet, den Videoprojektionen der Umgebung und den gezeichneten Comicfiguren, die auf zwei transparente Leinwände geworfen werden, ergibt sich ein berührendes, aufwühlendes Gesamtkunstwerk, das das Publikum so beeindruckte, dass es zum Schluss in minutenlangen Standing Ovations applaudierte.
Niemandes Schwester, Thalia
Das Auftragsstück, das Heinz Bude, Natan Sznaider und Karin Wieland zusammen für die Körberstiftung geschrieben haben, wurde von Joachim Lux für die Lessingtage zu einer szenischen Lesung eingerichtet. Selbst in dieser reduzierten Form wurde die Herausforderung dieser Preisverleihung, die die drei Autor:innen neben den gut recherchierten Fakten um ein paar fiktionale Figuren zugespitzt hatten, und ihr philosophischer Tiefgang deutlich. Im anschließenden Gespräch, das von Lux moderiert und von Kultursenator Carsten Brosda begleitet wurde, komplettierte sich der Eindruck, dass es sich hier um ein spannendes Stück Hamburger Geschichte handelt, das immer noch der näheren Betrachtung wert ist.
How Goes The World, Thalia
Die Bühne ein Sammelsurium an Kulissenwänden und Versatzstücken aus dem Möbelfundus. Inklusive zwei Türen, einem alten Telefon auf einem Tisch und einem Klavier am Rande. Vier Menschen kommen nach und nach gelangweilt herein. Doch schon bald werden sie von den Geräuschen auf Trab gehalten. Immer wieder klingelt das Telefon, klopft es an der einen Tür oder bimmelt die andere Türglocke. Nie ist jemand dran oder kommt herein, dennoch lassen sie sich von den Geräuschen durch die Gegend jagen. Zusätzlich will auch noch das Klavier bedient werden, denn beständig tröpfelt die Musik aus den Tasten herein und ruft die Spieler:innen zur Pflicht. Bald mischen sich andere Geräusche darunter. Pistolen werden gezogen und sich gegenseitig damit niedergestreckt. Doch alles nur Schein. Alle stehen schnell wieder auf und das Spiel geht in Endlosschleife von vorne los.
Blind runner, Thalia
Der Regisseur dieser vielschichtigen Theaterabends Amir Reza Koohestani verknüpft beziehungsreich viele verschiedene Ebenen. Er verhandelt dabei minimalistisch und dennoch intensiv die Unmöglichkeit eines Paares miteinander wahrhaft zu kommunizieren. Wenn sie an Punkte kommen, an denen Wahrheit gefragt ist, weichen sie aus: ins Schweigen, ins Anklagen, in Vorwürfe, in Beschönigungen. So ist dieses Versteckspiel zwischen Mann und Frau ist sicher auch ein Sinnbild für das Versteckspiel, das im Iran zum Alltag gehört.
Die Trauer des Dämons, Thalia
Etwas zu halten, anderes loszulassen, das ist ein Prozess im Laufe jedes Lebens, aber um wie viel mehr, wenn man gezwungen ist, sein Heimatland zu verlassen. Wie tanzt man diesen Schmerz? Der Choreograf Ivan Estegneev sucht in seiner Solo-Performance nach einem angemessenen Ausdruck für seine zahlreichen Verluste. Den seiner Heimat, den seinen Vaters, den seiner Jugend.
Akins Traum, Thalia
Stefan Bachmann inszeniert dies alles als traumhaften Bilderbogen, der genau an der Nahtstelle zwischen märchenhafter Übertreibung, traumhafter Fantasie und Aufprall auf die Realität spielt. Dass dieser Balanceakt in dem Gastspiel der Wiener Burg im Rahmen der Lessingtage funktioniert, liegt auch an der grandioser Leistung der wandlungsfähigen Schauspieler:innen, allen voran Atesçi, der mit seiner wohltuenden Selbstironie seinen eigenen Traum immer wieder auf den Boden der Tatsachen in Gelsenkirchen zurückholt.
Underground Girls, Thalia
Die Tonspur am Schluss zeugt davon, dass eh jedes Entkommen-Wollen hoffnungslos ist. Im Dunkeln hört man, wie ein Mann seine Frau schlägt, so lange, bis sie endlich keinen Mucks mehr gibt. Schon zuvor waren die erschreckenden Zahlen der Femizide in diesem fernen Land über die Bildschirme gelaufen. Standing Ovations gab es am Schluss für diese Inszenierung. Doch die vermeintliche Beruhigung, dass dies alles in "einem fernen Land" passiere, sollte nicht der letzte Gedanke sein. Mögen die Zahlen in Deutschland auch geringer sein, so spielt Gewalt gegen Frauen auch hier eine immer noch eine viel zu große Rolle.
Underground Girls, Thalia
Die Tonspur am Schluss zeugt davon, dass eh jedes Entkommen-Wollen hoffnungslos ist. Im Dunkeln hört man, wie ein Mann seine Frau schlägt, so lange, bis sie endlich keinen Mucks mehr gibt. Schon zuvor waren die erschreckenden Zahlen der Femizide in diesem fernen Land über die Bildschirme gelaufen. Standing Ovations gab es am Schluss für diese Inszenierung. Doch die vermeintliche Beruhigung, dass dies alles in "einem fernen Land" passiere, sollte nicht der letzte Gedanke sein. Mögen die Zahlen in Deutschland auch geringer sein, so spielt Gewalt gegen Frauen auch hier eine immer noch eine viel zu große Rolle.
Eurotrash, Thalia
Die höchst intime Reise der beiden wird in Stefan Puchers Bühnenadaption des Romans von Christian Kracht zu einem Schauspielerfest für Barbara Nüsse und Jirka Zett. Sie ergeben zusammen ein skurriles Pärchen, das sich wenig schuldig bleibt. Der Abend wird zu einem intimen und intensiven Zwiegespräch über Familie, Schweigen, Traumata, mangelnde Verantwortung und Kontinuität der Macht. Ob die Mutter diese trotz oder wegen der Nazivergangenheit ihres Vaters bewahren konnte, ist am Ende keine Frage mehr, sondern letzteres zu einer Gewissheit geworden.
Alles was wir nicht erinnern, Thalia
Wenn Hoffmann zum Schluss nachdenklich über die Traumata spricht, die nicht nur ihre Vorfahren verarbeiten mussten, sondern auch die nachfolgenden Generationen vererbt bekommen haben, wird der Abend plötzlich sehr persönlich und berührend. Sie denkt darüber laut nach, wie lange diese Schrecken noch nachwirken können, um neue Kriege zu verhindern. Damit wird das Stück aktuell, ohne sich um eine Aktualität bemühen zu müssen. Es stellt Fragen, die kaum drängender sein könnten. Wenn Europa auch bisher dachte, vor den Unbillen des Krieges nach den verheerenden Tragödien des Zweiten Weltkrieges gefeiht zu sein, scheint diese Zeit nun vorbei zu sein. So dauern die anschließenden Gespräche im Foyer fast länger als das Stück im Bühnenraum. Foto: Armin Smailovic
Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich, Th
Bernd Grawert ist dieser Passagier auf der Nadir, dem weißen Schiff, das so wirkt, als sei es gerade aus der Kochwäsche gezogen worden. Er nutzt den Ballsaal des Thalia in der Gaußstraße voll aus, um von seinen Tagen unter den Celebreties zu erzählen. Er jagt die Showtreppe hinauf, um oben von Deck auf das Wasser zu schauen. Er setzt sich zwischen die Zuschauer:innen, um mit ihnen in Kontakt zu treten. Er nimmt Platz an der Bar, um von einem Gottesdienstbesuch zu erzählen, der auch auf der Nadir in der Bar stattfand. Er setzt sich ans Klavier, um von der Befriedigung („Satisfaction“) zu singen. Er tanzt auf der Bühne, um das abendliche Showprogramm zu illustrieren. Er gibt dem kritischen und erschreckend ehrlichen Kreuzfahrtfahrer in David Foster Wallace Essay Stimme, Gesicht und Körper. Es bringt ihm sichtlich Spaß alle Facetten dieses Mannes und von weiteren Prototypen unter den Passagieren darzustellen, denn er ist ein Komödiant, der das Abgründige zu schätzen weiß.
Blue Skies, Thalia
Bosse wollte wohl keine allzu deprimierende Arbeit an den Anfang der neuen Spielzeit stellen. Es ist ihm gelungen. Wenn das überlange Stück auf dem Spielplan steht, ist das Theater ausverkauft und das Publikum am Schluss über den sehr unterhaltsamen Abend begeistert, der nie mit moralisierenden Aufrufen zu Veränderungen nervte. Und das ist bei diesem Thema auch eine Leistung. Vielleicht könnte er sogar durch die menschliche Absurdität, die uns auf der Bühne vorgeführt wird, mehr bewirken als all die gutmenschelnden Ermahnungen, die sonst zu hören und zu sehen sind und doch bisher völlig wirkungslos geblieben sind. Sind wir wirklich so hohl, kopflos und ferngesteuert wie diese Wesen auf der Bühne? Sollten dies Vertreter der homo sapiens sein?
Der Apfelgarten, Thalia
Der Stoff kommt einem bekannt vor. Tschechows Kirschgarten lässt grüßen. Die Bestsellerautorin Dörte Hansen hat ihn eben mal von Russland von vor hundert Jahren in die Jetztzeit ins Alte Land verlegt. Regisseur Antu Romero Nunes bürstet die Personen ziemlich gegen den Strich und lässt sie so weit am Abgrund tänzeln, dass man nicht denken muss, man säße ein paar Häuser weiter im Ohnsorg Theater, wo gerade Hansens "Alte Land" läuft. Bei ihm treffen jetzt nicht nur Arm und Reich, nicht nur Provinzler auf Städter, nicht nur Arbeiter auf Bourgoise sondern auch Vergnügungssüchtige auf Bodenständige und Verdränger auf Erleidende. (Foto: Krafft Angerer)
Das Ende von Iflingen, Thalia
Wilfried Mues hat dieses Stück mit seinen drei himmlischen Clowns, die stets über ihre eigenen Füße stolpern herrlich amüsant umgesetzt. Denn sie sind traurige Komödianten, die genau zu ahnen scheinen, wozu sie hier angestiftet werden sollen und sich diesem Tun auf ihre tollpatschige Art widersetzen. Ein kleines Kabinettstückchen der besonders witzigen hintergründigen Art auf der Werkstattbühne des Thalia in der Gaußstraße. Mit den drei Darstellern hat der Regisseur die Idealbesetzung gefunden, von denen alle drei in ihren Persönlichkeiten überzeugten. Der eine als übereifriger Vollstrecker (Julian Greis), der andere als querschießender Zauderer (Steffen Siegmund) und der dritte als braver Vermittler (Oliver Mallison), der bei niemanden anecken möchte.
Ein von Schatten begrenzter Raum, Thalia
Auf diese Weise schafft die Regie, den Inhalt des umfangreichen Romans in nur gut eineinhalb Stunden als Gastspiel des Schauspiel Kölns in Szene zu setzen. Das ist mit Geschick für Timing, für Stimmungen und für Abwechslung umgesetzt. Doch manchmal fällt es schwer, mit diesem Tempo Schritt zu halten. Die stillen Momente drohen dabei fast unterzugehen, dabei hätte diese spannende Frau ein Innehalten, ein Raumgeben und eine Differenzierung verdient. Denn sie ist gerade keine, die nur auf die Umstände reagiert sondern ganz im Gegenteil agiert und gestaltet. (Foto: David Baltzer)
Faust, Gretchen, Fraktur, Thalia
Dem Autor, der das Stück auch inszeniert hat, ist es gelungen, das Drama so intensiv, berührend, spielerisch, komisch und dennoch ernstnehmend neu zu erdichten, dass es durch sein vermeintliches Zerfließen doch wundersamer Weise extrem verdichtet wird. Selten wurde wohl gleichzeitig versucht, die Aspekte von damals mit denen von heute zu verbinden, ohne eine der Zeit-Ebenen als weniger bedeutend zu erklären. (Foto: Lea Pech)
Als wäre es gestern gewesen, Thalia
Genau durch diese ganz dezente und doch passgenaue Konzeption dieses Abends, der so klein und unaufgeregt als Feier des Lebens und der Liebe daherkommt, liegt seine Kraft, die die Zuschauer:innen auch beim Hamburger Gastspiel im Rahmen des Nachbarschaft-Festivals in der Gaußstraße zum Schluss von den Stühlen riss und dem Ensemble mit Standing Ovations für den warmherzigen und bewegenden Abend dankte.
Yol oder ein Zebrastreifen geht Sonne suchen, Thal
Eine melancholische Atmosphäre durchzieht diesen Abend, aber durchdrungen von dem ständigen Versuch, sich gegen alle Widerstände zu verknüpfen. Auch wenn Nina zum Schluss alleine in den Schatten der Gaußhöfe verschwindet, ist man sich insgeheim sicher, dass die Drei auch danach noch den Kontakt zueinander suchen werden. Ihre Sehnsucht nach Verbindung und Unterstützung wird nicht aufhören. Eine kleine Botschaft der Hoffnung in Zeiten der Zersplitterung und Fragmentierung im heutigen Deutschland.(Foto: Fabian Hammerl)
Fifty and one Shades of Meryem, Thalia
Man könne sich mit Meryem nicht streiten, so behaupten Freunde per Einspielung aus dem Kassettenrekorder, und zwar aus dem Grund, weil sie ständig das Thema wechsele. Auch dieser Abend unter der zurückhaltenden, einfühlsamen Regie von Camilla Ferraz springt von einem Thema zum nächsten und beschränkt sich selbst nicht durch Forderung nach einengender Stringenz. So bringt dieses Kaleidoskop die Persönlichkeit einer jungen Schauspielerin zum Funkeln, ohne dass es sich anmaßt eine klare Botschaft zu vermitteln. Vielmehr lässt es die vielschichtige Collage des Lebens einer jungen Frau mit all ihren Ungereimtheiten entstehen. Hier wird mal keine Zerrissenheit zwischen den Kulturen abgebildet, sondern einfach völlig unaufgeregt eine junge Künstlerin gezeigt, die voller Neugier und Spiellust durch ihr Leben geht und keine Angst vor dem Scheitern und vor dem Unbekannten hat. Schön wenn man ihr dabei auf der intimen Bühne des Ballsaales im Thalia in der Gaußstraße zuschauen darf. (Foto: Fabian Hammerl)
Der zerbrochene Krug, Theaterfestival
So geht es in dieser Inszenierung nicht nur um Machtmissbrauch in einem Dorf sondern auch um Ausbeutung im globalen Rahmen. Doch diese Hinweise kann man auch getrost übersehen, wenn man sich an dem handwerklich sauber gearbeiteten Abend, der als Gastspiel vom Deutschen Theater aus Berlin nach Hamburg kam, erfreut. Keiner, der einen von den Stühlen haut, aber einer, der vieles richtig macht.