Der Sturm, Theater im Alten Heizkraftwerk

Der Sturm, Theater Altes Heizkraftwerk
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Wer Sturm sät, wird Sturm ernten
Prospero ist zwar nicht mehr König von Mailand, aber immerhin noch König dieser kleinen Insel. Hierhin hat ihn die Intrige und der Vertrauensbruch seines Bruders getrieben. Seine Befehlsgewalt beschränkt sich auf sehr wenige Untertanen und er übt sie mit großer Inbrunst aus. Er inszeniert sich gerne so, als wenn er immer noch alle Fäden in der Hand halten würde. Doch die zwölf vergangenen Jahre haben bei ihm ihre Spuren hinterlassen.
Drohend wie eine riesige Tsunami-Welle ragt das schäumende Blau auf der Bühnenrückwand empor. Völlig ungerührt tritt Prosperos Luftgeist Ariel stets aus diesem Wellenungetüm auf und zeigt keine Spur von Irritation oder Angst. Denn Ariel ist hier kein Luftikus, sondern die Stabilität in Person. Sie ist diejenige, die Prospero Bodenhaftung verleiht. Ruhig und strategisch klug regelt sie alle Aufträge, die der aufgewühlte Möchtegernherrscher ihr erteilt. Sie weiß um ihre Kräfte und ihre Stellung. Obwohl Prospero ihr immer wieder deutlich macht, dass sie eigentlich in einer Bitthaltung verharren müsste. Sie tut ihm den Gefallen, die ihr zugeteilte Rolle zu spielen, weiß sie doch, dass er hier eigentlich der Bedürftigere ist. Sobald sie entschwunden ist, sinkt er in sich zusammen.
Das Schicksal, das ihm nun seine einstigen Widersacher durch einen Sturm, den natürlich Ariel entfacht hat, auf seine Insel spült, könnte ihm wieder Auftrieb geben. Endlich die Chance auf Rache und eventuelle Wiedergutmachung. Doch der Sturm hat nicht nur seinen Verräterbruder sondern auch den jungen Königssohn Ferdinand auf die Insel gespült. Was zur Folge hat, dass seine 15-jährige Tochter Miranda schockverliebt ist. Die Zuneigung beruht auf Gegenseitigkeit. Und so ist Prospero sofort klar, dass er seine Tochter verlieren wird.
Er hatte sich eingerichtet auf seiner Insel. Doch jetzt ist diese Zeit zu Ende. Die Zeit der Verbannung soll ein Ende haben, doch wird er sich in der neuen Umgebung zurechtfinden? Auch die Gestalten, die Alonso begleiten, stimmen ihn nicht hoffnungsvoll. Sie sind reine Witzfiguren, die ständig an der Flasche hängen und überaus schlechte Witze reißen. Prospero ist der Vergangenheit verhaftet, denn er hat alle neueren Entwicklungen verpasst. So gibt er seine Tochter nur frei, wenn sie verspricht nie zu gendern und sich von jedweder linker Ideologie fern zu halten. Er klammert sich umso mehr an seine Macht, je mehr sie ihm abhanden zu kommen droht.
Prospero braucht für seine Energiezufuhr längst mehr als nur natürliche Kräfte. Hin und wieder zieht er seinen Gürtel aus der Hose und wickelt ihn sich stattdessen um seinen Oberarm, um sich eine Spritze zu setzen. Er weiß, ohne Ariel wird er seine Zauberkraft verlieren. Was wird er ohne sein geistiges Alter Ego sein?
Hier steht am Ende keine Versöhnung. Hier liegt am Ende ein gebrochener Mensch am Boden, der jegliche Energie verloren hat. Und die nächste Generation? Hat sie den Zauber, der zur Erneuerung führen wird? Da besteht wenig Hoffnung. Neben ihrem Wunsch nach privatem Glück trachtet sie mehr nach Übernahme und Erhalt der bestehenden Machtverhältnisse, als sie zu hinterfragen. Mit Vergeltung ist keine Erneuerung und Versöhnung zu erwirken. Das will Regisseur Torsten Diehl auch durchaus politisch verstanden wissen. Zur heutigen aufgeheizten weltpolitischen Situation erkennt er in Shakespeares Klassiker einige Parallelen, die einen neuen Blick erlauben. Er macht aus dem Zaubermärchen mit seinem engagierten Ensemble, aus dem Georg A. Geck als Prospero, Sandra Kanthak als Ariel und Hans Hansen in der Doppelrolle des Alonso und Sebastian herausragen, einen gesellschaftspolitischen Stoff und beweist damit dessen Aktualität aufs Neue.
Birgit Schmalmack vom 21.7.25
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