Die gläserne Stadt, DSH

Die gläserne Stadt, DSH
Thomas Aurin
Glasklare Angelegenheit
Angedeutet wird hier nichts. Bei dieser Überschreibung des "Revisor" von Nikolai Wassiljewitsch Gogol durch Felicia Zeller sind die Verhältnisse aus dem damaligen Russland direkt in die Hansestadt Hamburg übertragen worden. Die Korruption ist auch unter nur scheinbar braven Hanseaten allgegenwärtig. Damit jeder auch alle Pikanterien trotz der neuen Namen versteht, spart Regisseur Victor Bodo nicht mit klaren Hinweisen. Alle prominenten Protagonisten, die nicht etwa zufällig Ähnlichkeiten mit lebenden Personen aufweisen, sind zweifelsfrei zuzuordnen. Man muss Zeller und Bodo zugestehen, dass sich die Gleichsetzung der korrupten Verhältnisse auch geradezu auf dem Serviertablett anbietet. Dass der Cum-Ex-Skandal in Hamburg mit dem damaligen Bürgermeister und späteren Kanzler seinen Anfang nahm und der sich später rein an gar nichts mehr erinnern kann, sorgt schon für komödiantische Heiterkeitseffekte, die man wunderbar ausschlachten kann.
Doch welch Knallchargen hat Bodo hier auf dem rostigen Containerschiff, das auf die Bühne gebaut worden ist, um die Handelnden versammelt! Alles Pfeffersäcke, die zu Karikaturen ihrer selbst verkommen sind. Alle sind so krass überzeichnet, dass man sich auch nicht wundern braucht, wenn sie zu krummen Geschäften greifen müssen, um sich überhaupt über Wasser zu halten. D. h. eigentlich traut man ihnen die Klugheit von strategischen Tricksereien zu, so dösbaddelig präsentieren sie sich hier. Mit falschem Gebiss, mit Sonnenbankbräune, mit Schiebermütze und Sprachfehler. Intelligent scheint hier keiner. Außer dem Bankier, der diese Finanzgeschäfte eingefädelt hat. Und der bzw. die ist eine Show. Denn er wird von Lina Beckmann gespielt. Man erkennt sie erst nach längerem Zuschauen. Bei ihr stimmt jede Intonation, jede Bewegung und jede Mimik. Sie mutiert hier zu dem älteren Geschäftsmann, der sich keiner Schuld bewusst ist und dennoch alles tut, um seine Geschäfte zu verschleiern.
Dabei hilft ihm der oberste Chef der Hansestadt. Eingeflogen wird er per Hubschrauber, zu einem Gespräch, an das er sich natürlich später nicht erinnern kann. Er sagt, ganz Scholz, nichts mit wenigen kurzen Sätzen, und fliegt wieder ab. Dennoch ist hinterher alles wunderbar geregelt. Nachforderungen oder Strafen seitens der Finanzbehörden werden ganz kollegial zurückgehalten. Wenn da nicht plötzlich ein Mann aus dem Frachtraum des Containerschiffes krabbeln würde. Man munkelt, voll des schlechten Gewissens, dass er sich um einen Kontrolleur (den Revisor) handeln müsse, der als Spion der Behörde eingeschleust worden ist. Sofort fängt die Bestechung von allen Seiten an. Der vermeintliche Undercoveragent ist zwar eigentlich nur ein Flüchtling, aber weiß sofort Kapital aus der Verwechselung zu schlagen.
Bis zur Pause darf man sich amüsieren. Jedes Mal wenn jemand die Schifftreppe hinabsteigt - und das geschieht dauernd - rutscht derjenige auf der drittletzten Stufe aus. Dieser Running Gag wird wie alle anderen ausgeweidet. Jede Pointe ist vorhersehbar, denn alle Allegorien sind so glasklar, dass keine Zwischentöne mehr nötig sind.
So geht es nach der Pause für Bodo nur in eine Richtung: Die gewollt satirische Komödie wird zur völlig überdrehten Koksparty, bei alle auch den letzten Rest an Würde komplett verlieren. Das Lachen soll im Halse stecken bleiben. Das gelingt nur bedingt, denn das Publikum ist so im Lachflash, dass man lieber weiter mitgrölt und mitsingt. So kann man hier den bitteren Ernst der gezeigten Machenschaften leicht weglachen, weil niemand auf der Bühne auch nur ansatzweise ernst zu nehmen ist. Witzfiguren kann man für nichts schuldig machen. Wer diese Witzfiguren auch noch in der eigenen Stadtelite duldet und feiert, ist wohl auch eine von lauter Witzfiguren im Publikum, die über sich selbst lacht. Hoffentlich ging diese Intension der Erkenntnis von Bodo nicht im Knallchargen-Kabinett unter.
Birgit Schmalmack vom 21.7.25
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