Noch eine weitere Geschichte!
Sie würden so gerne im Rampenlicht stehen, doch sie trauen sich noch nicht. Zögerlich wagen sie immer wieder einen Schritt auf die Bühne zu und drehen kurz vorher wieder um. Minutenlang geht das so, bis einer von ihnen den Sprung wagt und die anderen nachziehen. In Glitzerkostüme haben sie sich geworfen. Die hochhackigen Klotzschuhe sollen ihnen Größe verleihen, die sie so gerne hätten. Alleine wagen sie nicht zu reden. Wenn dann nur im Chor, am besten alle durcheinander und gleichzeitig. Doch ihre Geschichten, die sie zum besten zu geben haben, buhlen um Aufmerksamkeit. Ein Vater, der mit seinem Schwanz vor seinem kleinen Sohn herumwedelt, ein fast Dreizehnjähriger in seiner Albtraumphase der Pubertät, eine Schauspielerin, die wegen ihrer Wurstwerbung zu David Lettermann eingeladen wird. Niemand ist so, wie er scheint. Und dennoch geht alles um diesen Schein, unter dem man auftritt. Doch der Bühnenkasten, der über der Auftrittsplattform hängt, bestimmt auch klar den schmalen Entfaltungsraum. Er kann sich bis auf einem Spalt senken und alle einschließen. Jungregisseur Henri Hüster ist ein Meister der Verlangsamung und der Beschleunigung. Das beweist er mit seiner Abschlussinszenierung der Theaterakademie. Mit Geschichten von David Foster Wallace lässt er seine zehn Schauspieler ihre Selbstdarstellung erproben. „Liebst du mich?“, fragen sie sich immer wieder, um gleich darauf abzuwinken. „Klar, liebst du mich, brauchst du nicht zu sagen.“ Doch sie stecken in einer Wiederholungsschleife fest, denn sie brauchen die Anerkennung des Gegenübers zum Überleben. Gefühlte 15 Minuten führen sie sich gegenseitig ihre „spitzen Hüftknochen“ vor, um zu beweisen, wie gut sie ins derzeitige Schönheitsideal passen. Absurditäten der Selbstvergewisserung werden hier feilgeboten, zelebriert und ausgestellt. Hüsters Gruppenarrangements sind überaus gekonnt, aber die Intention der Inszenierung ist bald durchschaut und steckt danach wie seine Darsteller in der Wiederholungsschleife der Variationen fest. Die dreieinhalb Stunden, die man damit zubringt Menschen zuzuschauen, die in ihren spezifischen Loops feststecken, zeugen von großem Talent, hätten aber einige Kürzungen gut vertragen können. Birgit Schmalmack vom 13.1.16
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