|
|
|
|
| El Baile, Berl.Festspiele |
|
|
Zur Kritik von
|
|
El Baile, Berliner Festspiele
|
El Baile, Berliner Festspiele Erkundungen der Seele Argentiniens
Die Frauen und Männer trudeln ein. Sie haben sich mit individuellem Style herausgeputzt. Sie versuchen sich von ihrer interessantesten Seite zu präsentieren. Sie checken das Angebot und die Konkurrenz im Saal ab. Der Ball kann beginnen. Doch die Szenen, die sich hier im Ballsaal abspielen werden, könnten eher auf den Straßen Buenos Aires zu sehen sein. Es sind mehr die Eindrücke eines Spaziergängers, der offenen Auges durch die Straßen flaniert. Viele Bilder, viele Bruchstücke und viele Tanzstile bekommt er zu sehen. Statt Musik vom DJ-Pult sind die Tänzer hier auch die Musiker. Sie liefern ihren eigenen Soundtrack und der ist so vielfältig wie das Land, aus dem sie kommen: Argentinien. Klassische Lieder, Volkslieder, Popsongs, Schnulzen, Rap, HipHop - alles ist dabei. Sie demonstrieren nicht nur die vielfältigen Einflüsse des gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenlebens sondern auch die ereignisreiche Geschichte Argentiniens. Militärjunta, Aufstand, Wahlen, Umbrüche, Regierungswechsel, Repressionen, Wirtschaftskrise, alles beeinflusst das Zusammenwirken der Menschen und demzufolge auch der Tänzer. Sie springen sich gegenseitig in die Quere, sie unterbrechen sich, sie behindern sich, sie unterdrücken den anderen. Aber sie regen sich auch an und finden in seltenen Momenten sogar zu Gemeinsamkeiten. Mathilde Monniers hat für diese Arbeit mit dem Autor Alan Pauls zusammen gearbeitet. Sie hat ihre Analyse der Lebensgefühls der argentinischen Gesellschaft in den Tanz und die Musik übersetzt. Monnier zeigt eine Gesellschaft, die so viele Umbrüche hinter sich hat, dass sie das Vertrauen in die Gemeinschaft verloren hat. Jeder ist sich hier selbst der nächste. Jeder guckt als erstes, wo er bleibt und lebt ganz für den Moment, weil er nie weiß, was als nächstes kommen wird. Sie zeigt junge Leute, die sich permanent selbst inszenieren. Ständig haben sie ein neues Outfit. Kommunikation und Beziehungen sind nur flüchtig. Auf einen Tanz einigen können sie sich ebenso wenig wie auf eine einheitliche Entwicklungsrichtung. So wirbeln die Tanzstile durcheinander. Samba, HipHop, Modern Dance - sie nutzen alle Anregungen, die sie bekommen. Ein Durch- und Gegeneinander der unbegrenzten Vielfalt ist die Folge Doch ganz zum Schluss besinnen sie sich wieder auf ihre Wurzeln. Sie finden zum Tango, der Seele Argentinien. Plötzlich werden sie zu einer ruhigen Gemeinschaft, die in einer langen Reihe gemeinsam Tango tanzt. Eine Innigkeit, die das ganze Stück über nicht zu finden war, entsteht. Natürlich dauert auch das nicht lange. Schon bald fängt die erste Tänzerin an, ihre Partner einer nach dem anderen auszusortieren und so die kurzfristige Einigkeit aufzukündigen. Im allerletzten Bild gibt es nur noch den Einzelnen, die Musik und die Bewegung: Ein Mann tanzt alleine in einem erleuchteten Bühnenkasten selbstvergessen zu einem Popsong. Ein anderer versucht ihn mit einem Fußball abzuschießen. Doch der Mann tanzt unermüdlich weiter, bis das Licht ausgeht. Monnier hatte für ihre Arbeit zwölf grandiose argentinische Tänzer zu Verfügung, die nicht nur hervorragend tanzen sondern auch singen und schauspielern können. Hier stehen Künstlerpersönlichkeiten auf der Bühne. Die permanenten Brüche in der Choreographie machen ein Einfühlen und Verstehen für den Zuschauer nicht leicht. Erst im Blick auf den gesamten Abend erkennt man erstaunt, dass Monnier hier ein beeindruckendes Gefühlswimmelbild des heutigen Argentiniens vor dem Hintergrund seiner bewegten Geschichte gelungen ist. Birgit Schmalmack vom 30.8.17
|
|
|
Dorothee Munyaneza, HAU 1
|
Druckbare Version
|
|
|