Selbstdarstellung als Lebensaufgabe
Veronika Voss (Victoria Trauttmansdorff) stellt stets Veronika Voss dar. Auch auf der Straße gibt sie die große Diva. Permanent sieht sie sich selbst im Studiolicht zum Dreh der nächsten Szene. In glänzend silbernen Dress stöckelt sie weiblich lasziv über ihre Lebensbühne. Der Sportjournalist Robert Krohn (Andre Szymanski) ist fasziniert von der verführerischen Frau aus der Welt der Reichen und Schönen. Zugleich wittert er eine gute Story. Eine gute Abwechselung zu seinem eingefahrenen Leben mit seiner Freundin Henriette (Marie Löcker) scheint sich ihm hier zu bieten. Doch Frau Voss große UFA-Zeit ist in der Nachkriegs-BRD längst vorbei. Statt der weiblichen Hauptfigur darf sie höchstens noch deren Mutter spielen. Ihr Leben schrumpft auf ein kleines verspiegeltes Kabinett zusammen. Aus ihrer glamourösen Garderobe wird ihre Krankenzelle. Um ihre unerträglichen Sehnsuchts-Schmerzen zu betäuben, spritzt sie Morphium, immer gut versorgt von Frau Dr. Katz (Sandra Flubacher), die es dabei versteht auf ihre Kosten zu kommen. Regisseur Bastian Kraft macht die mediale Ebene seiner Geschichte um die Ex-Diva stets deutlich. Mit nur sechs Darstellern lässt er alle wichtigen Figuren des Films auftreten - inklusive des Film-Regisseurs Fassbinder himself. Auf der Bühne wechseln die Schauspieler schnell Perücke und Kleidungsstücke, um in eine andere Rolle zu schlüpfen. Jeder spielt nur vor, der zu sein, dessen Namen er trägt. Jede Szene wird in schnellen Wechsel am Mikro angekündigt. „Schnitt!“ treibt einer der Protagonisten die Story zu weiterer Fahrt an. Immer schneller dreht sich das Karussell der Veronika. „Wie viele Szenen habe ich noch?“ fragt sie Frau Doktor ihre eigene Situation klar erkennend. Sie hat keine Angst vor dem Tod. Schlimmer als das Sterben ihres Ruhmes kann das körperliche Ende nicht sein. Auch Robert kann sie nicht retten. Kraft benutzt die Mittel des Films und hinterfragt sie gleichzeitig. Das Setting der Bühne (Peter Baur) unterstreicht die kühle, stylische Oberfläche des Filmgeschäfts. Immer ist die Projektionsfläche gut im Blick. Waren die Teile der Leinwand, auf die ständig das Leben der Veronika projiziert wird, zunächst zu einen glatten Fläche ausgerichtet, zeigen sie bald Spalten und Brechungen, die die Bilder zersplittern lassen. Aus dem Melodram wird unversehens ein Kriminalfall um illegale Morphiumgeschäfte. Die Sehnsucht der Veronika Voss ist unstillbar. Ein Selbst, das sie ohne Drehbuch spielen kann, gibt es nicht. In ihrer mit Klebeband umwickelten, durchsichtigen Zelle krepiert die Diva schließlich als einfache Frau -barfuß, lockenlos und in Unterwäsche. Birgit Schmalmack vom 29.5.14
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