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Die Rasenden

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Die Rasenden

Großer Auftakt

Ein großer Auftakt sollte es werden. Und er wurde es. Intendantin und Regisseurin Karin Beier nutzt ihren eigenen Startschuss zu einem siebenstündigen Parforceritt durch alle Inszenierungsstile. Kein Aufwand wird gescheut. Wenn sich am Ende kurz vor Mitternacht alle verbeugen, passt die Masse aller Mitwirkenden kaum auf die große Bühne. Die ganze Historie der Atriden wollte Beier im Verlauf der fünf Dramen erzählen.
Sie beginnt historisch. Mit großen Kothurnen an dem Füßen und riesigen Pappmasken vor den Gesichtern erfahren Klytaimnestra (Maria Schrader) und ihre Tochter Iphigenie (Anne Müller) in »Iphigenie in Aulis« von Agamemnon (Götz Schubert), dass er seine Tochter opfern will, damit seinem Kriegsglück nichts mehr im Wege stehe. Der Raub einer einzelnen Frau soll der Anlass zu einem verheerenden Krieg werden.
Hier verlässt sich Beier noch auf die Wirkung des Textes von Euripides. Die inneren Konflikte der Personen, ihr Ringen mit sich, den Erwartungen ihrer Umgebung und den vermeintlichen Entscheidungen der Götter wird auf schmaler, schmuckloser Bühne ausgetragen. Dann hebt sich die Bühnenrückwand.
Das Wüten des Krieges wird durch die Komposition des Ensembles Resonanz »Eine große Stadt versank in gelbem Rauch« versinnbildlicht. Sie schlagen auf ihre Streichinstrumente, sie zupfen die Geigen, sie trommeln auf die Schlagwerke und stimmen im Chor beschwörende Klänge und Schlachtrufe an, bis der Regen aus dem Bühnehimmel jeden weiteren Ton verhindert.
Zehn Jahr wütete der Krieg zwischen den Griechen und Troern. Danach ist der Boden mit Asche bestreut und die besiegten » Troerinnen« von Euripides/ Sartre betreten in dicke Steppdecken gehüllt die dunkle Bühne. Der Krieg kennt keine Heroen. Auch die Verlierer haben unschuldige Frauen und Kinder. Diese werden nun per Lautsprecher wie aus „1984“ auf ihre neuen Machthaber verteilt. Hier stellt sich die Frage nach der Schuld nicht nur übergeordnet. Die trojanische Königin Hekuba muss sich den Vorwürfen ihrer Frauen stellen, dass sie die Schuld an all ihrem Leid trage, weil sie sich dem Götterspruch widersetzt hatte, ihren Sohn Paris zu töten. So konnte er die griechischen Helena entführen und den Anlass für den Krieg liefern. Der Disput zwischen Andromache (Lina Beckmann) und Königin Hekuba (Julia Wieninger) wird zu einem berührenden Herzstück um persönliches Leid, Ringen um Haltung und Verantwortung.
Nach der ersten Pause ist die Bühne in ein glitzerndes Rot getaucht. In einer Mischung aus Edelrestaurant, Bordell und Schlachthof wartet Klytaimnestra in »Agamemnon« auf die Rückkehr ihres Gatten. Die drei Erynnien (Joachim Meyerhoff, Gustav Wöhler und Michael Wittenborn) – hier als Hofnarren - kommentieren dauerfressend das Geschehen: „Früher war alles besser, da haben wir nie gesagt, dass früher alles besser war.“ Doch die launige Stimmung wird schnell auf die blutigen Tatsachen heruntergebrochen, als Agamemnon als vermeintlicher Sieger zurückkehrt. Auf diesen Moment hat Klytaimnestra in ihrer roten wallenden Robe die ganze Zeit gewartet. Jetzt ist die Zeit für ihre blutige Rache gekommen. Noch mit dem Blut an ihren Händen vergnügt sie sich mit dem Nachfolger für ihr Bett Ägisth (Markus John). Bombastische Ausstattung mit Live-Kochshow, Live-Gesang und Sturzbächen an rotem Blut und Glitzer kontrastiert Beier die Reduktion vor der Pause. Die Dekadenz der Griechen, die ihren Sieg über die Barbaren feiern, könnte nicht eindrücklicher vorgeführt werden.
Doch so schnell ist die Schuldfrage nicht zu klären. »Elektra« (Birgit Minichmayer) hockt in ihrem Kellerloch unter der Bühne. Sie ist nur durch eine Videoprojektion zu sehen. Sie hat der Vatermordenden Mutter den Kampf angesagt und sinnt nun ihrerseits auf ihre Chance zur Rache. Ihr Streitgespräch wird zu einem puristischen Schlagabtausch zwischen den Frauenköpfen auf den beiden Leinwänden. Doch dann kommt der lang verschollene Bruder Orest in den »Die Eumeniden« (von Aischylos) zurück, auf den Elektra schon so lange wartet. Er erfüllt seinen Auftrag und lässt weiteres Blut fließen. Er wälzt sich auf seiner barbusigen Mutter in ihrem noch warmen Blut. Die drei Hofnarren haben einen weiteren Auftritt. Ist Orest nun schuldig oder nicht? Klare Antworten bleiben sie selbstverständlich schuldig. Vorträge über das Phänomen von „Schrödingers Katze“, die zu 50% Prozent da oder weg ist, über die Wirkung von schwarzen Löchern oder die Erkenntnisse aus der Gehirnforschung machen klar, dass es keinen klaren Richterspruch geben wird. Selbst diese Entlastung wird verweigert. Der Mensch bleibt alleine mit der Frage nach seiner Schuld und Verantwortung. Weder Götter noch Gerichte können helfen. Die Hoffnung durch die entstehende Zivilisation, die Aischylos noch hegte, einen Ausweg aus Götterabhängigkeit und eigener Schuldverstrickung zu erlangen, bleibt im 21. Jahrhundert vergebens.
Beier sorgt mit ihrem klug einsetzten, gut getimten Einsatz unterschiedlicher Stilmittel dafür, dass für Abwechselung und Spannung auch bei sieben Stunden Dauertheater stets gesorgt ist. Ebenso strategisch sind Wiedererkennungseffekte eingebaut, die für die große Klammer sorgen. Dass dabei der Tiefgang an manchen Stellen dem Spannungsaufbau weichen musste, ist wohl unvermeidlich. Die fünf Stücke sind eindrucksvolle Arbeiten, die als Marathon vom Hamburger Publikum mit einhelliger Begeisterung aufgenommen wurden. Nach einer langen Durststrecke im größten Sprech-Theater Deutschlands nur zu verständlich. Hier hat eine Regisseurin und Intendantin gleich an einem Aufführungstag bewiesen, dass sie Ideen für mehr als einen Abend bereithält. Mehr Muße für die Betrachtung einzelner könnte den Eindruck noch steigern.
Birgit Schmalmack vom 29.4.14



Die Möwe
Die Schule der Frauen

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