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| Festival 150% |
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Leere Stadt
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Verdrängung als Therapie Mitten zwischen die feindlichen Fronten sind Gjore und Gjero geraten. Auf verschiedenen Seiten der verfeindeten Armeen haben die beiden Brüder gegeneinander gekämpft. Eine Nacht noch haben sie noch, bevor am nächsten Morgen das Gemetzel beginnen wird. Was tun in den verbleibenden Stunden? Sie beschließen die „Leere Stadt“, aus der alle Bewohner schon geflohen sind, zu nutzen. Einmal noch die pubertären Jungsträume erfüllen! So überfallen sie eine Bank, gehen ins Casino, ins Bordell, erklimmen die leere Bühne eines Theaters und suchen zum Schluss in einer Kirche Besinnung. Alle Arten von Drogen werfen sie sich ein. Klaren Kopfes ist ihre Situation nicht zu ertragen. Regisseur Thomas Ulrich inszeniert das Endzeitstück als comicartigen Bilderreigen. Nur mit einer neuen Folie auf dem Overheadprojektor werden immer neue absurde Fantasieräume eröffnet. Den punktgenauen Soundtrack liefert dazu der Musiker Julius Richter. Die beiden Darsteller Jean Paul Baeck und Jonas Baeck, die auch im wirklichen Leben Brüder sind, sind Meister im sekundenschnellen Wechsel zwischen Slapstick und Ernst, zwischen brüderlichen Rangeleien und tiefgehenden Sinndiskussionen, zwischen greller Übertreibung und stiller Anrührung. Dennoch bleibt Ulrich ganz auf der Linie des Textes von Dejan Dukovski, der den Brüdern gestattet, jeden zaghaft aufkeimenden Gedanken an ihr bevorstehendes Ende mit dem nächsten Witz zu verdrängen. Birgit Schmalmack vom 6.4.14
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Zur Kritik von
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Reclaim your opera, Waiting for nothing
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Punk macht frei
Woran erkennt man den wahren Künstler? Am coolen Auftreten, am schwarzen, stylischen Outfit und am starren, ernsten Blick? Mit bloßem Oberkörper und barfuß zum Anzug bzw. mit Engelsflügeln und Highheels zu Minirock betreten Meriel Price und Johann-Michael Schneider die Bühne im Mojo-Club. Sphärische Klänge produzieren sie mit Saxophon und E-Geige. Doch bald häufen sich die Irritationen. Mal stockt die Bildanimation, dann mischt sich ein falscher Ton in die Musik, mal kratzen sich die Darsteller ständig und schließlich setzt Schneider zu einem langen, sich die Haare raufenden Lamento über die eigenen Unsicherheiten ein. „Aside“ wird zum selbstironischen performativen Diskurs über die künstlerische Selbstdarstellung und Eigenwahrnehmung. Kein einfaches Unterfangen, auf das sich die Zwei eingelassen haben. Verunsicherungsmomente auf der Bühne brauchen den klaren Bruch, doch „Aside“ spielt gleichzeitig mit der Verunsicherung der Zuschauer. Der Lichtkünstler Maximillian Maintz arbeitet bei seinem diesjährigen Auftritt im Rahmen von „150% made in Hamburg“ mit Lichtblitzen auf der Bühnenrückwand, die durch die Trommelschläge auf den Elektrodrums manipuliert werden. Ein Feuerwerk der weißen Blitze, Lichtkreise, Explosionen und Spiralen auf der schwarzen Wand entsteht. Das ist schön anzusehen, weist aber nicht über sich selbst hinaus. Katharina Roll hat den Mut zu bedingungslosen Erkundung der menschlichen Abgründe vor aller Augen. Direkt blickt sie dem Zuschauer in die Augen, während sie in langsamen Bewegungen die Beschränkungen des genormten Daseins tänzerisch zu erkunden versucht. Überall findet sie Grenzen und Einengungen, die ihre Bewegungsfreiheit einschränken. Roll kam sich nur zentimeterweise auf dem Boden entlang robben. Die Beine erscheinen wie gelähmt. In Windungen verbiegt sich die Tänzerin, um ein Stückchen voran zu kommen. Dann betritt ihre Band „Rotze el Bunto“ die Bühne. Wie befreit springt Roll auf. Greift sich das Mikro und schreit ihre Gefühle hinein. Durch ihren Körper zucken die Punk-Klänge. Die ganze Frau ein Ausrufezeichen, lebendig bis in jeden Nerv. Befreiung pur. „Waiting for nothing“, singt sie. Wer auf nichts wartet, ist frei! Der Mojo-Club erwies sich als die perfekte Kulisse für die drei experimentellen Performances. In dem Rund unter der Reeperbahn fanden sie den idealen Rahmen, um voll zur Geltung zu kommen. Birgit Schmalmack vom 6.4.14
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Fictional state
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Utopia im gelben Sternenkranz
In Hamburg treten wir ohne Namen auf, beschließen die drei Performer noch auf dem Klo, bevor sie die Bühne im Turmzimmer des Übel und Gefährlich betreten. Dazu passt das, dass auch ihr Heimatland keinen anerkannten Namen hat. Sie kommen aus Mazedonien und sie träumen in der mit Franz von Strolchen erarbeiteten Performance von einem „Fictional state“, in dem alle gleich sind, alle frei leben können, , alle ihre Meinung äußern können, alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben. Die Clubatmosphäre im Medienbunker auf dem Heiligengeistfeld passt sehr gut zu ihrem Projket, denn auch 2001, zu Zeiten des Krieges in Ex-Jugoslawien, wurden immer wieder Tanzabende veranstaltet, bei alle zum Feiern zusammenkamen, ohne Rücksicht auf die ethnische Herkunft. So beschwören sie jetzt in Hamburg wieder die Stimmung aus diesen Tagen herauf, um sie für ihren Traum zu nutzen. Dazu laufen Videobilder auf den Clubwänden, die Eindrücke aus dem heutigen Mazedonien wiederspiegeln. Sie verschneiden mit live im Übel und Gefährlich aufgenommen Bildern. Wenn einer der Performer an jedem DJ-Pult zu einer flammenden Rede über die Möglichkeit der Erschaffung dieses Traumstaates aufruft und dabei im Gegenlicht aufgenommen wird, erinnert er an Obamas Aufruf zu seinem „Yes, we can!“. Die hereingeschnittenen Massen jubeln ihm dabei zu. Ein spannender Abend zum Abschluss des Festivals 150% Prozent, der weit über Hamburg hinausweise, wenn die gelben Sterne vor blauem Hintergrund auf den Wänden tanzen.
Birgit Schmalmack vom 15.4.14
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Tür auf, Tür zu Ein Held unserer Zeit
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