Desaster, Lichthof
Die unfreiwillige Liebesbeziehung
„Du bist wie immer zu spät!“ „Nur eine Minute...“ „Ich hasse es, dass man sich nicht auf dich verlassen kann.“ Schon der Beginn des abendlichen Treffens zwischen Mutter (Sabine Werner) und Tochter (talentiert: Eva Bay) ist gespickt mit Vorwürfen. Ein nicht ganz einfaches Verhältnis, dem die Regisseurin Anne Schneider in „Desaster“ im Lichthof auf die Spur zu kommen versucht.
Die Karteikarten, die zwischen die Stoffbahnen gesteckt sind, berichten von vielen unterschiedlichen Mutter-Tochter-Konstellationen. Einer von ihnen folgt Schneider in Einzelszenen über drei Generationen hinweg genauer. Die Oma hatte für die Mutter noch eindeutig die Rolle der Beschützerin und Erzieherin zu übernehmen. Heute wünscht sich dagegen die Mutter für die Tochter eher zu einer Vertrauten zu werden, die ganz offen über die erste Periode aufklärt und zu erstem Sex auffordert. Doch macht sie das gleich zur Freundin? Denn die Kommunikation auf Augenhöhe bleibt schwierig. Die doppelten Botschaften des Gesagten bleiben nicht verborgen. Die Konkurrenz zwischen den Geschlechtsgenossinnen ist vorprogrammiert. Lehnt die Tochter den Lebensentwurf der Mutter für sich ab, wirkt das wie eine Kritik. Übernimmt sie ihn vorbehaltlos, kann sie nur die schwächere Kopie werden. Erziehungsratgeber helfen da wenig. Wenn Tochter und Mutter sich daraus vorlesen, wirkt das wie ironisierte Kommentare zu ihrer eigenen Beziehung.
Die kleinen Episoden, die beiden Protagonistinnen auf der Bühne erzählen, geben einen tiefen Einblick in diese besondere unfreiwillige, lebenslange Liebesbeziehung. Schlaflieder werden immer wieder angestimmt, ob auf der E-Gitarre von der Tochter oder auf der Mini-Orgel von der Mutter. Dazwischen führt die Tänzerin Antje Rose die eingrenzenden Bewegungsmuster der Beiden vor. Diese Choreographie wird besonders stark, wenn sie sich kostümbildnerischer Mittel bedient. Die Tänzerin knotet drei schlauchförmige Wendekleider aneinander und steigt von dem einen ins nächste. Oder sie zieht sich einen Petticoat aus Plastikreifen über, der von der Mutter mit Wollfäden an den Wänden festgebunden wird. Ein Bild, das die Bindung zwischen den beiden perfekt verdeutlicht, ist ein meterlanger, grauer Strickmantel, der der Tochter übergestreift wird. An seinem Ende sitzt strickend die Mutter. Die übergroße, wärmende Fürsorge hält die Tochter fest, begrenzt ihren Freiraum und verpflichtet sie zur Dankbarkeit vor so viel emsiger, liebevoller Arbeit.
Birgit Schmalmack vom 28.2.14