Himmelsmüll – Eine Weltraumoper, Kampnagel
Der Dekonstruktivismus landet weich im Kapitalismus
Dr: Stone (Theresa Berlage), Kowalski (Wiebke Wackermann) und Halbwert (Maurizio Micksch) arbeiten auf Utopia 11. Sie sollen den Himmel aufräumen. Allerlei von Menschen entsorgter Plastikmüll, verpeilte Engel und menschliche Seelenreste begegnen ihnen auf ihrer Mission. Zum Glück können sie zwei der schwarzen Engel wieder zum Leben erwecken und haben nun mit beiden Müllassistenten auch akustische Unterstützung, die ihren Aufräumbemühungen mit Schlagwerk (Stefan Kohmann), Harfe (Sophie Steiner), Bass (John Eckardt) und Stimme Marcia Lemke-Kern) den passenden Soundtrack verpasst. Der hat es genauso in sich wie die Texte, die die menschlichen Cyborgs auf ihrer Raumstation von sich geben. Eine anspruchsvolle Mixtur aus Schmidt, Jünger, Kant und Artaud bildet das Material für die Sprachoper, in der sich die Crew aber neben philosophischen Diskursen auch ganz banalen Geldproblemen stellen muss.
Ihre Firma Universal Cleaning Service hat sich der Himmelsmüllbeseitigung angenommen, doch die Finanzkrise macht auch vor so fortschrittlichen Geschäftskonzepten nicht Halt. Die Aktien stürzen an den Börsen und der Turbokapitalismus droht diese utopische Science-Fiction-Idee zum Scheitern zu bringen. Doch am Ende landet die Besatzung wieder ganz weich im Kapitalismus: nämlich im Devisenlager der Bank of England. Die Dekonstruktion der Moderne wird so zur Bestätigung derselben. Die Eroberung des Orbits wirft die Menschen auf das allzu Irdische zurück, und zwar immer wieder auf das Geld. Eine Welt ohne den Kapitalismus scheint selbst in den fantastischen Weiten des Weltraums nicht mehr vorstellbar zu sein.
Regisseur Hans-Jörg Kapp und Komponist Sascha Lino Lemke haben mit ihrem Opera Silens-Team eine Weltraumoper geschaffen, die ungewohnte Klang- und Denkräume eröffnet. Die verwendeten Texte fielen wie Manna aus dem Bühnenhimmel und erschufen immer neue Kippfiguren und –denkkonstrukte. Wie das anschließende Nachgespräch zeigte, waren diejenigen beim Entschlüsseln der Botschaften klar im Vorteil, die die benutzten Texte von Jünger, Kant, Artaud und Karl Schmidt kannten und in Beziehung zu Kapps und Lemkes Neudeutungen setzen konnten. Die anderen konnten sich der Bilder- und Wortflut nur ergeben und von der faszinierenden Klangwelt Lemkes entführen lassen.
Birgit Schmalmack vom 23.2.15