Luft aus Stein, Kampnagel
Dazwischengefallen
Die Puzzlesteine ihres Lebens kann sie nicht mehr zusammen setzen. Ihr Gefühl für Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft ist durcheinander geraten. Ihr fehlt der Zugang zu ihrer Geschichte in ihrem Kopf. Auch die Wörter kann sie nicht mehr wiederfinden seit dem Unfall. Sie steht unten zwischen den Podesten, auf denen sich die anderen sicher bewegen können. Paula ist ausgeschlossen. Sie versteht nichts mehr und keiner versteht sie. Außer dem Arzt, der sie behandelt, der mit ihr spricht, der sogar ihre schweigsame Mutter Hannah auffordert mit ihr zu reden. Doch was soll diese mit ihrer Tochter reden, die sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hat? Von der sie wenig weiß? Von der sie so wenig weiß wie sie von ihrer Mutter Ruth? Auch Ruth war damals alleinerziehend wie Hannah heute. Warum? Sie hat es nie erfahren. Auch Ruth hat immer geschwiegen, wie sie selbst gegenüber ihrer Tochter Paula.
Wie sich Erfahrungen in den Generationen wiederholen, wie sich Traumata scheinbar vererben, davon erzählt Anne Habermehl in ihrem klugen Theaterstück „Luft aus Stein“. Das Schweigen führt zu Steinen, Steinen in der Lunge, Steinen auf der Zunge, Steinen im Herzen. Erst als die einzelnen versuchen die Geschichten zu erzählen, kann sich etwas lösen und Paula fängt an, wieder selbst aktiv zu werden und für ihre eigene Entwicklung zu kämpfen. Nur bruchstückhaft erschließen sich die einzelnen Episoden der drei Frauengenerationen; die der zupackenden Kriegs-, die der totschweigenden Aufbau- und die der aufbegehrenden Gleichberechtigungsgeneration. Die Jahreszahlen werden zur Orientierung genannt, ein paar Kleidungsstücke gewechselt und schon ist der Zeitsprung geschafft.
Anne Bader ist mit ihren vier hervorragenden Schauspielern (Mervan Ürkmez, Solveig Krebs, Martin Maecker, Lisa Schwindling ) eine bemerkenswert reife Inszenierung gelungen, die schlicht, schnörkellos, intensiv und beeindruckend ist.
Birgit Schmalmack vom 9.3.15