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John Gabriel Borkmann


Ein Totentanz

Die große Eingangstreppe der ehemals herrschaftlichen Villa ist von Betonmauern umschlossen. Wie ein immer schmaler werdender Schlauchkerker schließt sie die Menschen im Hause Borkmann ein. Der ehemalige Banker, der wegen Veruntreuung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden war, wohnt eigentlich in der oberen Etage, doch er ist so präsent, dass Regisseurin Karin Henkel ihn gleich mit auf dem obersten Treppenabsatz hausen lässt. Die Gedanken seiner Ehefrau Gunhild (Julia Wieninger) kreisen ständig um ihn und die Schande, die er über die Familie gebracht hat. Sie sinnt nur darauf, dass ihr Sohn ihr eines Tages Genugtuung verschaffen wird.
Doch der arme Junge hat nicht nur diese Erwartungen zu schultern sondern auch die von seiner todkranken Tante Ella (Lina Beckmann): Sie möchte von ihm bis zu ihrem Tode ebenso liebevoll betreut werden wie sie ihn umsorgt hat, als seine Mutter wegen eines Nervenzusammenbruch jahrelang ausfiel. Die Ärmel von Erharts Pullovers werden immer länger, so sehr zerren die beiden Frauen an ihn. Doch der windet sich geschickt aus der Zwangsumsorgung. Mit seiner Geliebten Fanny Wilson will er nur aus dieser erstickenden Umgebung fliehen. „Ich will leben!“ wird zu seinem einzigen Lebensziel.
Das Stück John Gabriel Borkmann ist nicht eines der spannendsten von Ibsen. Er zeigt keine Entwicklung; die Hoffnung auf ein Entkommen aus dieser Familienhölle wird schon in den ersten Minuten genommen. Daran lässt auch Karin Henkel keinen Zweifel. Sie interessiert vielmehr die Choreographie dieses Totentanzes.
Ella ist durch ihr Leben niedergedrückt und nicht mehr in der Lage aufrecht zu gehen. Sie stolpert auf den Seitenflächen ihrer Stöckelschuhe über die Bühne. Jede Treppestufe wird so zur Hürde, die sie schon mal mit einer Rolle statt mit einem Schritt nimmt. Gunhild läuft ständig mit einer Axt herum, allzeit bereit zum Kampf gegen ihren Ehemann. Erhart ist ein schmaler Hänfling, willenlos und bereit zum Herumgezerrtwerden. John ist bei Josef Ostendorf ein dicker Baby-Greis. Seine Unterwäsche erinnert an Windeln. Legt er seinen Anzug an, lässt Ostendorf auch kurzzeitig den ehemaligen Entscheider und Manager in seinem Spiel hervorblitzen.
Bei Henkel ist jede Entwicklung eingefroren. Auch für den flüchtenden Erhart sieht die Perspektive düster aus, dem Familienerbe zu entrinnen. In Frau Wilton wird er nur eine neue Bestimmerin seiner Wege finden. So ist es eine Inszenierung voller Bewegungen aber ohne jedes Vorankommen. Die Menschen stecken fest im Morast ihrer Vergangenheit. Ihr Lebensbunker hat keinen Ausgang mehr. Henkel begnügt sich aber leider damit Seelenzustände an der Oberfläche abzubilden statt sie tiefer zu analysieren.
Die Premiere wurde, wohl auch wegen der komödiantischen Überzeichnung der Figuren, vom Publikum begeistert aufgenommen.
Birgit Schmalmack vom 22.9.14