Die große Sommeroper
Vergnügliche Psychoanalyse
Das Unterbewusste gleicht einem psychedelischen Zeit- und Raumstrudel, in dem man sich verlieren kann. In ihm verbergen sich die Träume, Sehnsüchte und Ängste. Vor ihm fürchtet der Mensch sich und sucht ihn gleichzeitig. So geht es auch denjenigen, die im Wartezimmer eines Psychiaters auf den Stühlen hocken. Dann geht es auf die Coach und sie werden hineingezogen in den Strudel ihrer Emotionen, die sie bisher sorgsam verborgen gehalten haben. Zuerst ist es in Ravels „Das Kind und der Zauberspuk“ ein rebellisches Kind, das mit seiner strengen Mutter unter dem „Bitte Warten“- Schild Platz nimmt. Es soll zur Konformität. therapiert werden, Doch es wehrt mit jugendlicher Energie und besteht auf seinem Recht auf seine Traumwelten, die die Erwachsenen ihm abtrainieren wollen.
Dann sitzt bei Polencs „Die Brüste des Teiresias“ ein Ehepaar im Wartezimmer. Der Kinderwunsch des Ehemannes trifft auf den Wunsch der Ehefrau auf Emanzipation von der Mutter- und Frauenrolle. Beiden bekommen, was sie wollten. Die Frau darf ihre männliche Seite ausleben und der Mann mutiert zu einem Wesen, das viel Ähnlichkeit mit Conchita Wurst hat, und produziert mit Hilfe der Medizin Babys am laufenden Meter. Der schwule Männerchor lässt dieses surreale Setting zu einer urkomischen Revue der Überzeichnungen der Geschlechterrollen werden.
Als letztes warten in Hindemiths „Sancta Susanna“ zwei Nonnen betend im Wartezimmer. Die eine von ihnen wagt das Betreten der Gefühlsspirale und entdeckt ihre sexuellen Begierden. Sie streichelt den auf dem Kreuz liegenden nackten Jesus und verschwindet mit ihm hinter den Kulissen.
Die Bühne besteht aus mehreren hintereinander liegenden Kreissegmenten, auf dem ein immer kleiner werdendes Spiralmuster für einen optischen Strudeleffekt sorgt. Er scheint den Zuschauer und die Figuren einzusaugen. Die Kreisscheiben erlauben plötzliche Auf- und Abtritte. Die Inszenierung von Florian-Malte Leibrecht ist ein Fest für die Sinne und für den Geist. Sie spart weder an Provokationen noch an Witz, Ästhetik, Ironie oder Zeitkritik. Die Sänger glänzen mit vollen wunderbaren Stimmen und enormen Spielwitz und kommen in dieser spritzigen Arbeit bestens zur Geltung. Das ist eine große Sommeroper aus drei Kurzopern mit einem raffinierten Rahmengerüst, die diesen Titel verdient.
Birgit Schmalmack vom 7.7.14