Vermessung der Welt

Vermessung der Welt, Altonaer Theater Jacques Ullrich (Humboldt, li.) und Stephan Benson (Gauß); Foto Copyright Joachim Hiltmann



Witzige Wissenschaftler

Der eine ist ein unverbesserlicher Optimist, Humanist und Weltverbesserer. Der andere ist ein Misanthrop, verbittert, zynisch und grundsätzlich pessimistisch in Bezug auf den Fortschritt der Menschheit. Humboldt und Gauß sind sich im tatsächlichen Leben nie begegnet, doch Daniel Kehlmann lässt sie in „Der Vermessung der Welt“ aufeinander treffen. Auf der Bühne des Altonaer Theater sind ihre unterschiedlichen Erkundungen der Zusammenhänge der Welt so ineinander geschnitten, dass ihre gegensätzlichen Lebenshaltungen in eine direkte Konfrontation münden.
Humboldt bereiste mit seinem französischen Assistenten die Welt, um durch seine Forschungen die Welt zu verstehen. Gauß dagegen bewegte sich kaum aus seinem Preußen heraus. Braunschweig und Göttingen, das waren seine Orte der Erkenntnis. Er brauchte nicht mehr als einen Schreibtisch und ein Fernrohr, um seine Theorien zum Verständnis der mathematischen Zusammenhänge zu erlangen. Doch im Gegensatz zu Humboldt ging er nie von der Illusion einer Erschließung der Weltgeheimnisse aus. Ihm war immer bewusst, dass sein Erkenntnisfortschritt immer nur begrenzt sein würde.
Regisseur Christian Nickel will sein Publikum auf keinen Fall langweilen. So peppt er die Wissenschaftler-Story mit vielerlei netten Einfällen auf. Die Pappkartons auf der Bühne werden zu immer neuen Gebilden, Toreinfahrten, Tischen, Betten und Treppen gestapelt. Schnell ist mit einer Blumenwiese, die aus dem aufgeklappten Karton erblüht, eine neue Stimmung geschaffen. Sind Humboldt und sein Assistent zu Pferd unterwegs, hoppeln sie in Papppferden über die Bühne. Drohne sie bei einer Expedition in Südamerika zu ertrinken, wird schnell eine lange blaue Stoffbahn über die Bühne gespannt.
Umbaupausen werden mit chorischem Gesumme überbrückt. Kaum eine Gelegenheit zu ironischen Sprachspielereien wird ausgelassen. Nickel erzeugt so einerseits das Gefühl einer großen Spielfreude des gut aufgelegten Ensembles, offenbart aber andererseits auch die Furcht vor allzu viel Trockenheit und Tiefgang einer erkenntnistheoretischen Wissenschaftlerdiskussion. Stephan Benson glänzt als Gauß in allen Altersphasen. Jacques Ullrich stellt seinen Humboldt als humorlosen, idealistischen Kauz dagegen. Ole Schlosshauer, David Allers und Kathrin Doerig überzeugen in all ihren wechselnden Nebenrollen.
Birgit Schmalmack vom 5.1.12

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