Wir spüren nicht genug.

Romeos&Julias unplagued, Uferstudios cAndrzej-Grabowski


"Zu Asche werden, um wieder aufzustehen. Wir arbeiten dran." So steht es im Programmheft von "Romeos&Julias unplagued". Das Polish Dance Theatre and das bodytalk Kollektiv hat die Geschichte von Romeo und Julia neu aufgearbeitet, ganz unter dem Eindruck der Erfahrungen im letzten Jahr. Während in dieser Zeit eher die älteren Menschen starben und die jungen zurückstecken mussten, ist es auf der Bühne der Uferstudios nun umgekehrt. Hier sterben die Jungen. Einer nach dem anderen. Doch immer wieder kämpfen sie sich ins Leben zurück, mit aller Kraft und Energie, die sie aus einem schier unerschöpflichen Potential zu beziehen scheinen. So wird "Romeos & Julias ungeplagt.Traumstadt" zu einer Show, die in den Uferstudios das pralle Leben zelebriert. Mit allen, was dazu gehört, mit Liebe, Sex, Trauer, Wut, Aggression, Tod und neuem Leben. Zwischen Traum und Alptraum angesiedelt saust das Ensemble in einem Parforceritt durch die Geschichten, Tanz- und Musikstile hindurch. Ankommen, Ruhe und Erdung - das ist etwas, was nur selten Platz findet. Ein Event und ein Gefühl jagt das nächste. Ausruhen, das ist in diesen Zeiten trotz des vermeintlichen Stillstandes nicht gestattet. Immer auf höchstem Erregungslevel und dennoch unberührt von wahren Gefühlen, so scheint es. Yoshiko Waki und Rolf Baumgart von bodytalk und das Polski Teatr Tańca wirbeln im Anklang an expressionistisches Tanztheater mit modernen Stilelementen ihr junges Ensemble durch die Traumata des letzten Jahres.

Befinden sich die Tänzer*innen am Anfang noch in ihren eigenen Plastikhäusern und erlauben sich die Berührung nun durch die Plastikwände geschützt, so dürfen sie diese Hüllen noch dem sakralen Ritual der täglichen Testung abstreifen, bis auf zwei, bei denen der Test positiv ausfiel. Die durchsichtigen Hüllen werden für die Erbauung eines Hofportals genutzt, durch dass die nun gebildete Feiergemeinschaft für die erste Szene aus Romeo und Julia hindurch schreiten kann. Zum Schluss werden diese Plastikbehausungen zu Grabstellen, in die die Tänzer*innen hinein sinken. Hätte für manche Choreographie dieses eindruckvolle Bühnenbildmittel schon für ein ganzes Stück ausgereicht, so wechseln die Kostüme und Ausstattungsgegenstände hier für jede Szene. Mal für einen Maskenball, zu dem alle in den unterschiedlichsten Verkleidungen hereintanzen, mal für die Balkonszene, die von einem Metallgerüst herab für einen wütenden Punk-Song genutzt wird. Mal für ein Stangengemetzel, das die Aneinandersetzungen zwischen den verfeindeten Familien von Romeo und Julia neu in Szene setzt. Mal für ein romantisches Stelldichein zwischen den Beiden, in dem mit Laserpointern Herzen und Verbindungslinien auf ein lichtempfindliches Tuch gemalt werden, die noch lange zu sehen sind. Zum Schuss tauchen die Plastikhäuser wieder auf. Dann werden sie sie zu Grabstellen, in die die jungen Leute sinken. Natürlich nicht für lange. Dieser Mut zur Überwältigung entließ nach nur knapp über einer Stunde seine Zuschauer*innen so angefüllt mit Eindrücken, Bildern, Gedanken und Geschichten, dass alle noch lange im Hinterhof standen, um miteinander das Gesehene zu rekapitulieren.

Birgit Schmalmack vom15.7.21