Unbedingt sehenswert: Das Dance Theatre Karakuli aus Minsk
Die Hand an der Türklinke verharrt die Frau minutenlang. Soll sie den Schritt wagen und die Tür durchschreiten? Plötzlich knallt sie zu Boden, eine unsichtbare Kraft scheint sie am Fortschreiten zu hindern. Krämpfe schütteln sie. Doch die Frau gibt nicht auf. Sie will nicht in einem diffusen Dazwischen verharren. Sie stellt sich den Widerständen, die ihr begegnen. Sie zieht sich den Kapuzenmantel über und läuft mit wehendem Kleidern gegen den Gegenwind an. Dann stürzt sie sich in den zweiten Türrahmen, der auf zwei Stelzen schräg in den Bühnenraum ragt. Sie stemmt den metallenen Beschlag auf. Nur solange, bis er mit einem lauten Knall hernieder saust, hat sie Zeit, sich von ihrem Mantel zu befreien. Zentimeterweise arbeitet sie geduldig voran, bis sie beim letzten Öffnen den beherzten Sprung ins Freie wagt. Doch sie bleibt gebunden. Ihr Mantel ist im Metallrahmen festgeklemmt. Um ihn los zu bekommen, ringt sie mit ihm wie mit einem Menschen. Dabei schafft sie es, die Verankerung des Rahmens aus dem Fußboden zu lösen. Nun kann sie seine Position selbst bestimmen. Nun stehen die beiden Türrahmen nebeneinander. Sie kann sie öffnen und endlich beliebig oft hindurchschlüpfen. Die Hindernisse sind überwunden. Die Frau kann ihren Ort frei wählen.
Schon der erste Teil „In/Way/Out” des Abend im Monsuntheater, der die herausragenden Kunst des Dance Theatre Karakuli aus Minsk in Hamburg zeigt, demonstrierte das Niveau und den Anspruch dieses Ensemble unter der Leitung der Tänzerin und Choreografin Olga Labovkina. Ihr Solo erzählte mit großer Unbedingtheit, Eindringlichkeit und Intensität von dem Selbstbestimmungskampf einer Frau. Nach der Pause erforschte sie mit den Tänzern Ivan Sachkov und Alexandr Philippov in "Air" die verschiedenen Aspekte der Luft. Im Eingangsbild stehen die Drei als unförmige Gestalten in seltsamen Verrenkungen auf der Bühne. Erst als sie sich Luft verschaffen und ihre Hemdkragen aufreißen, quellen ihre herunter geschluckten Verformungen heraus und sie können sie frei bewegen. Sie springen durch den Raum, den sie brauchen wie die Luft zum Atmen. Der Mensch kann nicht aufhören zu atmen, diese Drei können nicht aufhören sich zu bewegen. Sie begegnen sich in den unterschiedlichsten Kombinationen. Sie bringen sich gegenseitig in luftige Höhen. Oft scheinen sie zu fliegen, so leicht wirkt ihr gemeinsamer Tanz, der sie gemeinsam auf- und absteigen lässt. Ein Zeltdach in der rechter Ecke der Bühne wird zu einem luftigen Zelt aufgeblasen, auf das Schattenbilder oder Videos der Drei projiziert werden können. Als Olga Labovkina zum Schluss wirklich an einem Seil, das um ihre Hüfte befestigt ist, durch den Bühnenraum schwebt und dabei von einem ihrer Tanzpartner zum Fliegen gebracht wird, ist das der Atem beraubende Abschluss einer Tanzkreation, die mit ihrer tänzerischen Perfektion, künstlerischen Modernität und inhaltlichen Tiefe beeindruckt. Dieses Ensemble aus Weißrussland wünscht man viele Zuschauer. Birgit Schmalmack vom 10.5.19
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