Loderndes Leuchten in den Wäldern der Nacht, Kampnagel
Liebe oder Sex, Revolution oder Kapitalismus?
Frau Professor ist enttäuscht: Ihre Studenten interessieren sich kaum noch für ihr Spezialgebiet: der Feminismus im Kommunismus. Sie versteht diese Generation nicht mehr: Warum ist ihr der Wunsch nach Veränderung abhanden gekommen, dem sie als Theoretikerin ihr Leben gewidmet hat. Als sie in Moskau über die Ideale der Revolution reden will, wird sie ausgebuht. Russland hätte diese Phase längst überwunden und sei auf dem Weg in die marktwirtschaftlichen Segnungen. Bei der Stalin-Statue wird kurzerhand der Kopf gegen den von Darth Vader ausgetauscht. Drei Frauenfiguren stehen im Mittelpunkt der neuen Regiearbeit von Mariano Pensotti, die er auf Kampnagel zeigte. Für alle drei wählt er unterschiedliche Darstellungsformen. Für die in die Vergangenheit gerichtete Erkenntnissuche der Frau Professor ist es das Marionettenspiel. Alle Schauspieler gibt es so gleich doppelt; einmal als Marionette und einmal als lebendige Person. Die zweite Figur ist die deutsche Guerilla-Kämpferin, die aus Kolumbien nach dem unterschriebenen Friedensvertrag zu Weihnachten wieder nach Hause zurückkehrt. Für dieses Stück im Stück lässt Pensotti die Marionettten aus der ersten Geschichte ins Theater gehen. Alle Familienmitglieder der Revolutionärin arbeiten mittlerweile im Niedriglohnsektor und sehen in ihr jedoch nur die Möglichkeit ihre Geschichte zu vermarkten und mit ihren gelebten Idealen endlich Geld zu machen. In der letzten Episode geht man zur Ablenkung ins Kino: Die Leinwand wird heruntergelassen. Hier steht eine junge Fernsehmoderatorin im Mittelpunkt, die gerade Karriere macht. Zusammen mit ihren Freundinnen fährt sie in einen Ferienort, um dort zu feiern. Hier gibt es einen Club, in dem russische Stripper ihre Dienste den zahlenden Frauen anbieten. Einer von ihnen ist ausgerechnet der Enkel der Feministin, über die Frau Professor forscht. Nach anfänglicher Skepsis lässt sich die Moderatorin auf das Experiment ein. Sie bezahlt für die Liebe, die sie von ihrem Freund, mit dem sie um den Posten konkurrierte, nicht bekam. Dieser Theaterabend böte eigentlich Vorrat an Geschichten, Überlegungen, Stilmitteln und Anregungen für mehrere. Doch Pensotti fügt sie alle zusammen in ein Stück. Er eröffnet damit Zusammenhänge und Querverbindungen, die sich erst in dieser großflächigen Darstellung zeigen. Er stellt die Frage anlässlich des 100. Jahrestages des Russischen Revolution nach der Relevanz ihrer Ideale. Wenn sie den meisten Ländern abgemeldet sind, was ist an dann ihre Stelle getreten? Welche neuen Probleme tun sich afu? Was ist die Rolle der Frau, sowohl in Zeiten der Kommunismus als auch in Zeiten des Kapitalismus? Gibt es im Kapitalismus nur den schnellen Sex statt der Liebe? Welchen Stellenwert hat heute die Klasse? Lohnt es sich, für etwas zu kämpfen? Pensottis Haltung zu der letzten Frage ist völlig klar, dennoch beantwortet er alle weiteren durch die verschiedenen Perspektiven sehr differenziert. Ein toller Abend, der angefüllt mit vielen Fragen, Anregungen, Bildern und Geschichten entlässt und der nicht nur behauptet, politisch engagiert zu sein sondern es auch ist. Birgit Schmalmack vom 17.8.17
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