Was ihr wollt, Thalia
Was ihr wollt, Thalia
© Katrin Ribbe
Love your enemies!
Zum Schluss ist die Bühne leer, nur die Protagonisten kommen eine nach dem anderen auf die kahle Fläche und fallen sich in die Arme. Zunächst noch in der Sortierung im gezeigten Stück. Viola (Gloria Odosi) knutscht mit Olivia (Franziska Machens), ihr Bruder Sebastian mit Antonio (Denis Grafe), der Herzog Orsino (Jannik Hinsch) mit seinem Narren (Tim Porath) und Iggy (Rosa Thormeyer ) mit Poppy (Nina Sarita Balthasar). Doch dann beginnt ein fröhliches Wechselspiel. Alle tauschen ihr Knutschpartner nach dem Ringelreihenprinzip. Nur eine steht ungeküsst daneben: die Zofe Maria (Oda Thormeyer). Doch ein anderer fehlt auch noch: der eingesperrte Molvolio (Jeremy Mockridge). Schnell holt sie ihn mit auf die Bühne und schließt ihn beherzt in die Arme. Doch hier kommt die Kraft der Liebe an ihre Grenzen. "Ausrotten werd' ich dieses Pack!", ist seine Ansage an dieses queere Durcheinander.
So bekommt Anne Lenks Inszenierung von William Shakespeares „Was ihr wollt“ am Thalia Theater auf den letzten Metern doch noch einen Spaß dämpfenden Unterton. Der verletzte Junge-Union-Wähler Molvolio nervte schon vorher als spießiger Regelwächter und träumte derweil vom Klassenaufstieg, um endlich über den Anderen zu stehen. Das zahlen sie ihm durch einen üblen Spaß heim, durch den er so gedemütigt ist, dass er Rache schwört. Denen, bei denen es so drunter und drüber geht, will er es zeigen.
Lenk nutzt die Komödie für ein lustvolles Gendertheater, das über das im Original hinausgeht. Die Handlung lädt dazu ein: Der Zwilling Viola wird nach einem Schiffsunglück auf eine Insel gespült. Ihr Bruder Sebastian gilt als ertrunken. Viola verkleidet sich als Mann Cesario, um eine Stellung als Diener bei Herzog Orsino zu bekommen. Der ist in die Gräfin Olivia verliebt. Doch diese verguckt sich in den angeblichen Jungen Cesario. Viola wiederum ein bisschen in ihren Herrn. Erst als Sebastian auftaucht, naht das Happy-End, das alles wieder in geregelte Bahnen lenken könnte.
Doch Lenk sortiert die Paare völlig anders als bei Shakespeare. Als Olivia aus Versehen Sebastian küsst, dreht sie sich angewidert weg. „Ich dachte, ich hätte mich in dir gefunden“, wundert sie sich kopfschüttelnd. Klar, ihr Cesario ist schließlich Sebastians Zwillingsschwester Viola. Lenk löst diese angebliche Geschlechterverwirrung aber nicht auf. Bei ihr sind Olivia und Viola zum Schluss ein Paar. Hier findet sogar der unsterblich in Olivia verliebte Orsino einen Tröster: Ihm wird sein treu ergebener Narr an die Seite gestellt. Dass das (bei Lenk weibliche) Trinkerpärchen Iggy und Poppy sich finden, deutete sich schon im Verlauf des Abends an. Deren derbe sexuelle Anspielungen zogen sich durch die fast dreistündige Aufführung.
Begleitet, getrieben, untermalt und manchmal gestört wird dieses ganze Spiel von einer Liveband, die die ganze Bühne einnimmt. Das „Treppenhausorchester“ sitzt auf einem Treppenpodest, das aus alten Instrumententeilen zusammengesetzt ist. Ihre Kostüme aus Stoffen mit einer braunroten Holzmaserung lassen sie wie Teile davon erscheinen. Manche von ihnen, die zusätzlich noch Flügel bekommen haben, aber auch wie nervige Holzkäfer. Übrigens die Kostüme (Sibylle Wallum): Sie sind ein Hingucker. Jede Figur bekommt so ihre ganz eigene Aussage. Die beiden Zwillinge versinken in dicken grüngelben Stepputensilien. Olivia verkriecht sich zunächst als trauernde Schwester unter einer Steppdecke, aber nach ihrem Zusammentreffen mit Cesario trägt sie ein Mini-Kleid, das ihre Vorderseite unter riesigen Rüschen verbirgt. Bis also jemand zu ihrem Herzen durchdringen kann, wird es noch einige Zeit dauern. Orsino gefällt sich im lilafarbenen Stepp-Königsmantel. Der Narr trägt eine Bienenkopfkappe zu einem Steppringe-Körper und Iggy und Poppy sind in rosafarbene kurze Trägerhöschen zu voluminösen bunten Hip-Hop-Blousons gekleidet. So könnte man fast vermuten, dass Anne Lenk hier die Dekoration und die Musik zur Hauptsache ihrer Inszenierung werden lässt, neben denen der Inhalt in den Hintergrund gerät. Man könnte aber auch sagen, dass alles zusammen den Abend zu einem unterhaltsamen, aufgedrehten, bunten und mit kleinen gesellschaftspolitischen Seitenhieben versehenem Gedankenspiel macht, das Shakespeares Vorlage ins Heute übertragen hat, ohne jemanden den Spaß zu verderben.
Birgit Schmalmack vom 29.10.25
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