The sun is burning, Kampnagel

The sun is burning, Kampnagel
Foto G2Baraniak
In der letzten Phase
Düster ist die Bühne. Graue Platten liegen auf dem Boden, aus deren Zwischenräumen Rauch aufsteigt, der in orangenes Licht getaucht ist. Dazu ertönen flirrende, beunruhigende, unidentifizierbare Klänge. Eine Atmosphäre der Dystopie macht sich breit. Eine Frau stapft über das Terrain, in bauchfreiem Top zu einer Hose, die sich bis zum Boden wie übergroße Moonboots aufwölbt. Sie schreitet das Areal mit schweren Schritten wie bei einer Mondbegehung ab. Immer den Oberkörper hin- und herschwankend. Weitere Wesen, die ebenfalls an den unterschiedlichsten Stellen ihrer Kleidung seltsame Verdickungen aufweisen, gesellen sich zu ihr. Noch wagen sie die Kontaktaufnahme nicht; zu sehr sind sie mit der eigenen Erkundung beschäftigt. Die Klänge verändern sich, sie werden fordernder. Die Wesen haben nun einander wahrgenommen und scheinen zu diskutieren.
Die Musik verstärkt sich weiter, sie wird lauter und dröhnender. Sie fährt in den Magen, als die Scheinwerfer, die direkt ins Publikum gerichtet sind, zu einem grellen Weiß aufgedreht werden. Die Menschen werden zu Schemen in dem blendenden Gegenlicht. Sie fangen an, sich an der Kleidung oder Haut ihres Gegenübers festzubeißen. Doch kein Schmerz zeigt sich auf den Gesichtern der Angegriffenen, die sich gleich danach bei den anderen revanchieren.
Eine Stimme auf dem Off erklärt den Hintergrund dieser Szenen: Die Legende der fünf Sonnen bilde die Grundlage. Wir befinden uns in der Phase der fünften Sonne. Doch an deren Ende werde die Vernichtung stehen. Daher gelte es die Zeit zu nutzen und zu tanzen. Die Beats werden treibender und die Menschen auf der Bühne fangen an zu tanzen, nun mit gemeinsamen, rhythmischen Bewegungen ihrer Arme und Beine. Doch zum Schluss wird die Scheinwerferleiste erneut in der Höchstleistungsstufe aufgedreht. Die Menschen entledigen sich ihrer voluminösen Kleidung und sinken vor Hitze erschöpft zu Boden.
Die mexikanische Choreografin Yolanda Morales erzeugt hier mit ihrem exzellenten, ausdrucksstarken Performerteam eine obsessive, dystopische und orgiastische Atmosphäre, die ihre Geheimnisse bis zum Schluss nicht preisgibt. Ganz versteht man die Geschichten, die hier auf der Bühne erzählt werden, nicht. Eine Lücke zwischen dem kulturellen Wissen der Abya Yala, deren mythologische Erzählungen diesem Abend zugrunde lagen, und dem der Zuschauenden bleibt. Dennoch versteht man eines sofort: Wir leben in unsicheren Zeiten und wir arbeiten an unserem eigenen Ende. Eine Aufforderung zum Tanzen für die Zeit bis dahin scheint da eine gute Empfehlung.
Birgit Schmalmack vom 21.10.25
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