Arendt, Thalia

Arendt, Thalia
Katrin Ribbe
Ohne Maske
Person, das komme von dem lateinischen Wort „persona“ und das bedeute Maske, so erläutert es Hannah Arendt in einer ihrer Reden. Wie die berühmte Philosophin ohne Maske aussehen könnte, davon erzählt das fiktive Theaterstück von Rhea Leman. Ganz alleine in einem Hotelzimmer braucht sie keine Schutzpanzer, keine Maskierung, um sich als öffentliche Person zu präsentieren. Hier legt sie ihre Abwehrmechanismen ab, die sie ansonsten gut trainiert hat. Dafür lässt Leman Arendt sechs Monate vor ihrem Tod in einem Kopenhagener Hotelzimmer tief in ihre Vergangenheit eintauchen. Corinna Harfouch spielt diese Arendt genau an der Schwelle zwischen ungeschützter Intimität und intellektueller Autorität. In Kopenhagen will sie eigentlich ihre Dankesrede schreiben, die sie am nächsten Tag zur Verehrung des Sonning Preises halten soll. Doch ihr Notizbuch bleibt leer, denn sie wird immer wieder von den Gespenstern ihrer Vergangenheit unterbrochen. Da ist zunächst einmal ihr vor fünf Jahren verstorbener Ehemann Heinrich Blücher (Achim Szymanski). Ein Kommunist, der ebenso wie sie als Jüdin vor den Nazis fliehen musste. Im Pariser Exil trafen sie sich und verliebten sich ineinander. Sie heirateten und flohen weiter in die USA. Arendt hockt auf ihrem Hotelbett, den Stift als Ersatzzigarette im Mund. Blücher steht leibhaftig neben ihr, denn er ist ihr Dialogpartner im Geiste geblieben.
Wenn ein anderer Geist sich Gehör verschaffen will, kann sie sich nur noch die Decke über den Kopf ziehen. Das erste Mal meldet dieser sich aus dem Klo des Hotelzimmers. Es ist Eichmann (Oliver Mallison). Mit heruntergelassener Hose bei der Lektüre ihres Buches „Eichmann in Jerusalem“. Sie, die nie ein Blatt vor den Mund nahm, bescheinigte Eichmann bei seinem Prozess, dass seine Bösartigkeit ganz banal sei. Ihr Buch mit dem Untertitel „Die Banalität des Bösen“ schlug hohe Wellen. Von ihren bisherigen Verbündeten bekam sie viel Kritik, von der Gegenseite dagegen Lob. Eichmann beteuert nun in ihrem Hotelzimmer, dass er sich von ihr verstanden fühlen würde. Und hofft sogar durch ihre Thesen auf ein milderes Urteil in Jerusalem. Doch Arendt wusste, dass die Gefahr des Bösen gerade nicht in der Monstrosität sondern in seiner Gewöhnlichkeit lauert.
Plötzlich steht Arendt und nicht mehr Eichmann auf der Anklagebank. Vor einem historischen Foto aus dem Gerichtssaal steht sie zwischen Eichmann und dem Chefankläger Gideon Hauser. Indem sie als Opfer einen Täter verstehen will und seine Schuld aus der Singularität in eine Banalität transferiert, wird sie zur Verräterin ihres Volkes. Arendt hält dagegen, dennoch gehen ihr die Anschuldigungen sichtbar sehr nahe.
In diesem Teil der Inszenierung trägt Harfouch eine Arendt-Perücke zu ihrem dunklen Kostüm, während sie zuvor mit ihrem natürlichen blonden Bobby-Kopf gespielt hat. Dabei versucht Harfouch nicht, Arendt in irgendeiner Weise zu imitieren. Denn sie ist eine Fiktion. Doch bei ihrer Verteidigung in Jerusalem wird sie zu einer öffentlichen Person.
Bühnenbildner Jo Schramm hat ein raffiniert fiktives Bühnenbild geschaffen, in dem reale Möbelstücke in eine Videoprojektion gesetzt werden. Durch diese visuellen Mittel wird klar, dass alles nur ein Traum ist, in dem die Anteile der Realität verschwimmen. Zusätzlich lässt Regisseur Tom Kühnel dokumentarische Aufnahmen von historischen Personen auf die Rückwand einblenden, die ihre Kommentare oder Erläuterungen zu Hannah Arendts Biographie geben. Alle gespielt von den beiden Männern des Dreier-Ensembles. Da hat die Maske ganze Arbeit geleistet. Die beiden Darsteller sind kaum wieder zu erkennen. Kühnel verschränkt alles auf sehr intelligente Art, so dass er das Publikum mit Lemans Text in die emotionale Seite Hannah Arendts eintauchen lässt.
Der Schluss allerdings irritiert nachhaltig und das ist sicher so beabsichtigt: In der letzten Szene ist Arendt nach einer schlaflosen Nacht am Rednerpult zu sehen. Und sie gesteht: Mir fehlen die Worte. Dann nimmt sie das Mikro in die Hand und singt das wie ein Kinderlied klingende „Wo kommen die Gedanken her“ von Funny van Dannen: „Jetzt fehlen mir die Worte/ ich sag' jetzt einfach mal/ Worte sind nicht alles/ und es ist ja auch egal/ im Endeffekt ist jeder/ ja irgendwie allein.“ Das wirkt nun tatsächlich etwas banal. Aber hatte sie nicht im Stück gesagt: Wie schön wäre es, wenn man sein ganzes Leben jemand hätte, der einen wie die Mutter einst an die Hand nehmen und sagen würde: Alles wird gut?
Das Thalia Theater zeigt mit diesem Well-Made-Play einen Hannah Arendt-Abend to go. Er bietet einen klugen Mix aus Unterhaltung und Tiefgang, der auch die im Publikum mitnimmt, die sich bisher mit den Überlegungen von Hannah Arendt nicht vertraut gemacht haben. Im besten Fall macht er Lust auf einen tieferen Einstieg und im zweitbesten zeigt er, dass die ideologische Spaltung einer Gesellschaft stets die wahrhaften Erkenntnisse blockiert, auch wenn die Diskursivität viele überfordert. Doch die unbedingte, unerschrockene Hannah Arendt setzte sich stets gegen eingefahrene Denkstrukturen und für offene Analysen ein. Auch mit dem Risiko, dass sie am Ende kleinlaut zugeben muss: „Ich weiß auch genau warum, doch jetzt fällt's mir nicht mehr ein.“ Eine große Denkerin am Ende ihrer Weisheit. Ohne jede Maske. Doch wie sollte es anders sein angesichts der Schrecknisse, die sie im Laufe ihres Lebens erfahren musste?
Birgit Schmalmack vom 20.10.25
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