Das Paradies und die Peri, Staatsoper

Das Paradies und die Peri, Staatsoper
Monika Rittershaus
Hoffnungshimmelsglück
Ein Engel mit gerupften Flügeln liegt auf dem Boden. Nur mit einem weißen Kleidchen bekleidet. Ganz klein und zart wirkt er. Verzweifelt sucht der gefallene Engel wieder in den Himmel zurück zu kommen. Doch er scheitert an der Himmelspforte, die ein Wächterengel streng hütet. Immer wieder hört er ein Nein. Doch die Peri, wie der gefallene Engel in der persischen Mythologie heißt, will die Hoffnung nicht aufgeben. Sollte sie in einer von Krisen geschüttelten Welt die Essenz des Menschlichen finden, könnte ihr wieder Einlass gewährt werden.
Doch bevor sich die Peri auf der Bühne auf die Suche macht, werden die Zuschauer:innen in der Staatsoper in den Blick genommen. Eine Live-Kamera zoomt immer wieder einzelne von ihnen auf die große Leinwand. „Willkommen“ heißt sie dazu der Schriftzug darüber. Sein Publikum in den Fokus zu rücken, daran liegt dem neuen Intendanten der Oper und heutigen Regisseur Tobias Kratzer des wenig gespielten, weltlichen Oratoriums von Robert Schumann „Das Paradies und die Peri“. Es soll sich gesehen und mitgenommen fühlen. Doch nie auf eine plumpe, sondern überaus gewitzte Art, wie im Verlauf des Abends zu sehen sein wird.
Die Peri hat nun drei Bewährungsproben zu bestehen. Die erste hat es gleich in sich. Mitten in einen Menschenstrom gerät sie, der auch so im Berufsverkehr einer hektischen Großstadt wie Hamburg stattfinden könnte. Doch unversehens wandelt er sich in eine bürgerkriegsähnliche Situation. Ein Tyrann befiehlt, die Menschen begehren auf, geraten in einen Kampf untereinander, geben dann resigniert klein bei, bis einer unter ihnen versucht, den Tyrannen zu ermorden. Als sein Attentat fehlschlägt, wird er selbst hingerichtet. Während Peri sich Blut aus seinen Wunden als erste Wächtergabe sichert, wird sie selbst von den aufgebrachten Bürgern über und über mit Blut beschmiert. Derweil fängt die Live-Kamera ein Bild auf dem Zuschauerraum ein: Eine wütende Zuschauerin schreit laut „Buh“ und verlässt unter Schimpfen das Opernhaus. Auch so kann Widerstand aussehen. Peri hofft nun schon auf „Hoffnungshimmelsglück“, doch der Wächterengel schüttelt den Kopf.
Für den nächsten Akt rücken die Bürger:innen zunächst mit Wischmop- und –eimer an. Peri und die Bühne werden gereinigt für die nächste Szene, für die Hygiene oberstes Gebot sein muss. Denn eine Seuche ist ausgebrochen und alle kommen in weißen Schutzanzügen auf die Bühne. Ein Jüngling wird in ein Schutzzelt verfrachtet. Ganz alleine solle er hier sterben, doch das hält seine Braut nicht aus. Sie legt sich zu ihm in sein Bett und zusammen sterben sie vereint in Liebe. Die Peri holt sie ihren letzten Seufzer, doch auch mit ihm bekommt sie keinen Eintritt in den Himmel.
Erst der letzte Akt bringt die Wendung. Während unter einer Glasglocke Kinder in dem austretenden Schornsteinqualm qualvoll ersticken, richtet sich die Live-Kamera wieder auf einen Zuschauer. Ihm rinnt eine Träne der Rührung und Empathie über die Wangen. Die Peri balanciert auf den Reihen bis hin zu seinem Platz und streicht ihm zärtlich übers Gesicht. Diese Tränen bringt sie dem Wächterengel. Der schwebt vor einem Himmelswolkengemälde von dem Bühnenhimmel herunter und gewährt ihr endlich Einlass. Sie fängt an zu jubilieren.
Doch welch eine Überraschung hält da der Regisseur für sie (und das Publikum) parat. Laut ertönt ein „Willkommen, willkommen unter den Frommen!“ Wie Peri sich danach einreihen muss unter diese Frommen, deren Bild in Großaufnahme mit dem schon bekannten Schriftzug vom Beginn versehen ist, das verspricht wahrlich nicht die immerwährende Freude, die sie sich erhofft hat.
Vera-Lotte Boecker ist in jeder Hinsicht grandios in der Rolle der Peri. Sie verkörpert den gefallenen Engel, der sich auf die Suche nach dem Menschlichen in einer unmenschlichen Welt macht, mit einer solchen Unbedingtheit, die sich in jeder ihrer Bewegungen, in ihrem Spiel und in ihrem Gesang ausdrückt, dass man den Blick nicht von ihr lassen. Sie ist das Herzstück dieser Inszenierung, in der aber auch alles andere stimmt. Die Chormitglieder brillieren als aufgebrachte Bürger:innen wie als stromlinienförmiger Kirchenchor, der Countertenor Ivan Borodulin als eindrucksvoller Wächterengel, der Tenor Kai Kluge als mitfühlender Erzähler und die Mezzosopranistin Annika Schlicht als berührende Braut, um nur einige zu nennen. Das Bühnenbild, die Kostüme und der Kameraeinsatz, alles fügt sich zu einem intelligenten, hintergründigen und gewitzten Abend, dem eine Meta-Ebene nicht reicht, um nicht noch eine weitere hinzu zu fügen. Langanhaltender Applaus mit entzückten lauten Bravos waren der Dank des Publikums am Ende des fulminanten Abends. So verliert Oper jeden Anstrich von Angestaubtheit und kann generationsübergreifend begeistern. Und das ohne je die Musik ins Hintertreffen zu stellen. Denn die Musik von Robert Schumann unter dem Dirigat von Omar Meir Wellber gibt dem Abend die Gefühlstiefe, die dem Suchen von Peri Ausdruck verleiht und die bis in den Zuschauerraum zu rühren vermag. Sie ist das Bindeglied, das diesen Abend zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk werden lässt.
Birgit Schmalmack vom 20.10.25
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