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Jeder stirbt für sich allein

Zur Kritik von

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Jeder stirbt für sich allein, Thalia


Widerstand im Kleinen

Auf der schwarzen Bühne ist ein dreidimensionaler Stadtplan von Berlin zu sehen. Er ist in die Vertikale gekippt. Erst allmählich erkennt man, dass seine Häuser und Straßen aus Alltagstagsgegenständen zusammengestellt sind. Doch dieser Stadtplan bröckelt. Schon liegen viele der Taschen, Töpfe, Lampen, Teller und Koffer unter ihm und werden zu einem immer größeren Müllberg. In den Kriegsjahren 1940 bis 42 erodiert die Hauptstadt.
„Mutter, auch ihr Sohn wird vom Führer ermordet werden.“ Anna und Otto Wrangel beschließen sich zu wehren. Doch sie schließen sich keiner kommunistischen Zelle wie ihre Schwiegertochter in spe Trudel an, sondern sie schreiben Postkarten mit aufrüttelnden Botschaften wie diesen. Otto und Anna legen sie in Hausflure, auf Treppenstufen oder Fenstersimse. Immer mehr Fähnchen steckt der ermittelnde Kommissar auf seine Berlinkarte. Doch er hat es nicht eilig seinen Klabautermann zu enttarnen. Er ist eher ein Mitläufer denn ein Überzeugungstäter. Er versucht die Zeit der Hitlerei wie viele andere zu überstehen. Doch auch er gerät zunehmend unter Druck seiner Vorgesetzten bei der Gestapo.
Hans Fallada hat die wenigen aufrechten Leute in seinem Roman „Jeder stirbt für sich allein“ ebenso beschrieben wie die feigen Duckmäusern, die geltungs- und geldgierigen Spitzel, die Mitläufer, die Nutznießer und die fiesen Faschisten, die zu Karikaturen menschlicher Wesen verkommen. So wird sein 1947 innerhalb von vier Wochen geschriebenes Buch zu einer detailreichen Abbildung der deutschen Gesellschaft während des dritten Reiches. Die Verfolgung und Vernichtung der Juden ist dabei nur ein Aspekt unter vielen.
Sahen viele zu Beginn noch mit der neuen Regierung die Möglichkeit zu einem wirtschaftlichen Aufschwung, so wird ihnen jetzt klar, dass sie in einer Diktatur leben, die jede alternative Meinung gewaltsam unterdrückt. Verhöre, Folterung, Verhaftung und Hinrichtungen gehören ebenso dazu wie ein ausgereiftes Spitzelwesen. Die meisten wollen jetzt nur noch ihren Kopf retten. Kaum einer überwindet die Angst. Erst als Anna und Otto ihren Sohn an der Front verloren haben, sind sie zu ihrer Form des Widerstandes bereit. Erst als Eva Kluge erfährt, dass ihr Sohn bei der SS gelandet ist, tritt sie aus der Partei aus und versteckt sich auf der Land. Erst als der Gerichtsrat Fromm schon außer Dienst ist, versteckt er die Jüdin aus seinem Haus.
Luc Perceval breitet dieses Kaleidoskop auf der Bühne des Thalias in vierstündigen epischer Breite vor den gebannten Zuschauern aus. Jede Figur wird zur Hauptfigur. Ob die Postbotin Eva Kluge (Catherine Seifert), ihr Ehemann, der arbeitsscheue Spieler Enno Kluge (Daniel Lommatzsch), der Kleinganove Emil Barkhausen (Alexander Simon), der Kommissar Escherlein, die Fast-Schwiegertochter Trudel und ihr späterer Ehemann Karl Hergesell (Marco Kreibich), der Schauspieler Max (Kreibich), der Gerichtsrat Fromm (Barbara Nüsse) oder die Jüdin Rosenthal (Gabriela Maria Schmeide). In stetig variierenden Kostümierungen hetzen die Schauspieler immer wieder geschäftig über die Bühne und zeigen so auch die schweigende Mehrheit der Deutschen, die weiterhin ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgeht. Perceval lässt jede dieser kleinen Lebensgeschichten auf der Bühne nachfühlbar werden. Er nimmt sich Zeit in jedes dieser Leben hineinzuleuchten und so ein Verständnis für diese Zeit aus ihrer Sicht zu erzeugen. Das gelingt ihm hervorragend und keine Minute ist dabei zu viel.
Birgit Schmalmack vom 31.12.12



Hoffmanns Erzählungen 46vol%

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