Unbedingte Suche nach der Wahrheit
Im Bühnenboden klaffen Löcher. So groß wie Badewannen oder wie Gräber. Die Fallhöhe ist hoch bei Hamlet. Seine unbedingte Suche nach der Wahrheit fordert vollen Einsatz. Doch zu Beginn liegen die vier Männer (Denis Geyersbach, Felix Lüke, Dirk Steirand, Christoph Vetter) noch wie Kameraden bei der Bundeswehr in ihren zwei schlichten Stockbetten. Noch sinnieren die Vier in nächtlicher, verbrüdernder Gemeinschaft über den Sinn des Leben und des Sterbens. Doch dann springen sie auf und verwandeln sich in König Claudius, Laertes, Horatio und Hamlet. Die Ereignisse hat die traute Einigkeit zerstört. Hamlets Vater, der Ex-König ist tot, flugs hat sein Bruder, Hamlets Onkel, seine Stelle nicht nur auf dem Thron sondern auch im Bett der Mutter eingenommen. Hamlet ahnt Böses. Seine Ahnungen erhalten bald weitere Nahrung. Der Geist seines verstorbenen Vaters erscheint ihm und bestätigt seine Vermutungen. Fortan spielt Hamlet den Wahnsinnigen, um die Wahrheit auf diese Weise ans Licht zu bringen. Ein Spiel um Wahrheit und Lüge auf Leben und Tod beginnt. Keiner der Vier wird gewinnen. Die Wahrheit kommt ans Licht, doch um den Preis des Lebens. Alle Todesgruben auf der Bühne finden ihre Besetzung. Rasant, heutig und voller Einfälle hat Diplomand Georg Carstens den Shakespeare-Klassiker umgesetzt. Die Rolle des Königs lässt er zwischen den drei Hofvasallen rotieren. Immer wieder setzt sich der nächste die Krone auf. Jeder von ihnen, auch Hamlets enger Freund Horatio, kann zum Verräter und Mörder werden. Der Geist des Vaters wiederum wird gleich von Hamlet selbst gespielt. Vielleicht nur eine Kopfgeburt? Die Liebe zu Ophelia hat in Carstens existenzialistischem Ansatz keinen Platz mehr. Eines der vielen Highlights dieser Inszenierung ist das Bühnenbild (Justus Saretz). Der rotierende Vorhang wirbelt die Geschehnisse, die Identitäten und die Wahrnehmungen stets aufs Neue durcheinander. „Coming soon“ verheißt er auf der glänzenden Rückseite, während vorne Kinderzeichnungen eine idyllische Landschaft erträumen. Doch hier bei Hamlets bitterer Desillusionierung hilft kein Kinderglaube mehr. Hier zählt Freundschaft ebenso wenig wie Treue oder Mutterliebe. Die Gier zur Macht zerstört alle einst erhobenen Ideale. Birgit Schmalmack vom 14.1.13
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