Wie Sonne und Mond
Goethe ist ein Atheist in der Wissenschaft und ein Heide in der Kunst. Vermeintliche Religionsgrenzen halten ihn bei seinem Drang nach Erkenntnis nicht auf. Die Grenzüberschreitung zwischen Okzident und Orient fasziniert ihn. Auf seinen Reisen von Weimar bis nach Italien versucht er der Poesie auch im Koran nachzuspüren. Wie weit ist Bagdad? Für Goethe schmilzt die Entfernung in der Dichtung seines „Zwillingsbruder“ Hafis zusammen. Im West-Östlichen Divan verdichtet er seine neuen Erkenntnisse, die ihm die literarische Begegnungen verschaffen. Speziell die Liebeslyrik wird zu einem Spiegelbild seiner tatsächlichen Begegnungen mit Marianne. Wie Satelliten umkreisen sich Mann und Frau mit den ausgeliehenen und angeeigneten Worten der west-östlichen Dichtkunst. Sie nähern sich durch die Schönheit der Sprache an und halten sich durch ihre Abstraktion auf Abstand. Unter der Regie von Gaby Schelle, die auch die kluge Textfassung erstellt hat, werden Konstanze Ullmer und Guido Bayer zu Marianne und Goethe, zu Liebender und Geliebtem, zu Wortspielern und zu wunderbaren Interpreten von Versen aus dem „Divan“. Die „Factory Theaterproduktionen“ zeigten im Hamburger Sprechwerk eine hochkonzentrierte, zarte und kraftvolle Spracharbeit, die das Suchen nach Sinn, Gefühl und Verstehen eindrucksvoll des menschlichen Geistes verdeutlichte. Birgit Schmalmack vom 6.8.12
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