Constellations, St. Pauli Theater
Im Spiel der Wahrscheinlichkeiten
Marianne ist Physikerin. Sie forscht im Rahmen der Quantenphysik und sammelt Daten über die kleinsten Teile im Universum. Sie interessiert die Möglichkeit, dass Zeit in diesen Zusammenhängen keine Rolle spielt. Alle Ereignisse wären damit gleich wahrscheinlich und könnten sich auch nebeneinander vollziehen. Was wäre, wenn dass auch für Menschen gelten würde?
Diese Fragen entlocken ihrem Gesprächspartner Roland meist nur ein „Aha“ oder „Soso“. Er ist Imker und interessiert sich mehr für die praktisch umsetzbaren Dinge als für theoretische Gedankenoperation. Doch um der hübschen schlagfertigen Mariannes näher zu kommen, hört er geduldig zu.
Der Autor Nick Payne versucht in „Constellations“ Mariannes Theorie auch auf sein Stück anzuwenden. Was wäre wenn nicht nur eine Version des Lebens denkbar und erlebbar wäre? So lässt er Marianne und Roland viele verschiedene Möglichkeitsschlaufen in ihrer gemeinsamen Geschichte durchlaufen. Mal landen sie nach dem ersten Treffen bei einem verregneten Barbecue direkt im Bett, mal schickt sie ihn wieder nach Hause, mal will er sich lieber verdrücken. Gleichzeitig mischt er Entwicklungen aus der Zukunft mit in die Szenen. Schließlich sind die Beiden ein Paar, leben eine Zeit lang zusammen, bis einer fremdgeht. Ob er oder sie, ist dabei gleich wahrscheinlich, beide Möglichkeiten werden durchgespielt, die in jedem Fall in der Trennung mündet. Nach ein paar Jahren treffen sie sich zufällig wieder und finden erneut zueinander. Doch diesmal hat sich die Situation verändert. Mariannes Lebenszeit ist auf einmal begrenzt: Sie hat einen Gehirntumor. Ausgerechnet diese Frau, die in der verbalen Ausbreitung ihren Theorien schwelgte, hat nun Wortfindungsschwierigkeiten. Während sie nach pragmatischen Lösungsansätzen sucht und sie in der Sterbehilfe findet, wünscht Roland sich so viel Zeit mit Marianne wie möglich. Dass Quantenphysik auch in solchen Fällen Trost spenden kann, davon ist die Physikerin überzeugt. Die letzte Szene beweist, wie subjektiv die gemeinsame Zeit erlebt und abgespeichert wird: Nach dem ersten Kennenlernen gefragt, erinnert sich der eine an das Barbecue und der andere besteht auf einer Hochzeitsfeier.
Ein anregendes und unterhaltsames, ein abwechselungsreiches und nachdenkliches Stück ist „Constellations“. Die beiden Schauspieler Judith Rosmair und Johann von Bülow glänzen in ihm unter der Regie des Altmeisters Wilfried Minks mit unglaublicher Wandlungsfähigkeit und Flexibilität.
Birgit Schmalmack vom 30.11.14