Blindflug, MUT-Theater
Wir müssen reden!
Heike (Janika Thomas) und Faruk (Emrah Demir) haben sich ineinander verliebt. Doch werden sie sich je verstehen? Das fragen sie sich schon in der ersten Szene. Doch wo Heike noch denkt, dass dies ganz alleine eine Aufgabe zu zweit ist, weiß Faruk schon, dass hierbei auch sein Vater eine gewichtige Rolle spielen wird. "Euch Deutschen ist die Familie eben nicht so wichtig", provoziert er Heike. Sein Vater (Haydar Bakay) ist aus Erzum nach Köln gekommen. Für seinen Sohn Faruk kann er sich nur eine türkische Ehefrau vorstellen. Auch Faruk sah in den Traditionen bisher eher eine richtungsweisende Rückversicherung als eine Beschränkung. Erst durch Heike wird dieses Lebensgerüst in Frage gestellt. Denn Heike liebt zwar ihren Vater (Jörg Oswald), will aber ihr eigenes Leben leben. Der sucht derweil nach seinen biographischen Wurzeln. Er ist der Überzeugung: Erst wer über seine Vergangenheit Beschied weiß, kann über seine Zukunft frei entscheiden.
So werden die Erinnerungen der beiden Väter Teil der Annäherung der beiden Verliebten. Heikes Vater arbeitet sich durch die Nazivergangenheit seiner Eltern und Faruks Vater erinnert sich an seine schwere Kindheit und Jugend, in der seine Mutter und seine zwei Stiefmütter im Dorf starben und er anschließend nach Deutschland verschickt wurde. Schweigen war in beiden Familien angesagt, in der deutschen aus Schuld, in der türkischen aus Respekt. Wenn die Verbindung zwischen der Deutschen Heike und dem Deutsch-Türken Faruk eine Zukunft haben, müssen sie jedoch reden.
Regisseur und Autor Johannes Schäfer hat es verstanden, all diese Aspekte in seinem Stück "Blindflug" zum Thema zu machen. In kurzen Szenen werden auf offener Bühne das Innenleben und die Interaktionen der vier Protagonisten nebeneinander gestellt und miteinander verschränkt. Die Verknüpfungen der verschiedenen Ebenen werden so deutlich. Durch die Einbindung der deutschen und türkischen Volkslieder, die von Heike auf der Gitarre oder von Faruks Vater auf der Flöte begleitet wurden, schafft Schäfer geschickt Stimmungen der Melancholie, der Trauer und der Sehnsucht. Kluges vielschichtiges Stück, das vor fast gefüllten Reihen des MUT-Theaters gespielt wurde.
Nächste Termine sind 8.11.,9.11.,16.11. und 17.11.2018.
Birgit Schmalmack vom 25.10.18