Rauschen III + Crying Zone
Was macht uns Druck?
Alle rempeln dich an. Du erwartest von dir selbst ständig Perfektion. Die anderen erwarten von dir stromlinienförmige Einpassung. Du möchtest so gerne mal auf dem Siegertreppchen die Nummer eins besetzten. Du möchtest mal der Bestimmer sein und nicht immer nur derjenige, über den entschieden wird.
Das Blaumeier-Ensemble aus Bremen zeigte seine Produktion "Rauschen III" auf dem Aussicht-Festival. In loser Reihenfolge, die die Performer an jedem Abend wieder neu auf der Bühne zusammenstellen, zeigen sie ganz persönliche Situationen, in denen sie sich mit Druck konfrontiert sehen. Sie erfinden performative Szenen, in denen sie geschickt mit einfachen Mitteln die aufbrechenden Gefühle des Fügens, Aufbegehrens, Scheiterns und Uüberwindens auf der Bühne zeigen.
In dem kreativen Spiel der Blaumeiers sprießen nicht nur die Kabelbinder aus dem weißen Holzkisten sondern auch die Ideen des Ensemble unter seinen zwei Projektleiterinnen Maxi Milena Heinrich und Simone Zinke. Da werden die Fadenvorhänge nicht nur zum Sinnbild der verheißungsvollen und dennoch vertrackten Möglichkeiten des eigenen Lebens, schimmert nicht nur das Versteck aus weißen Plastikstreifen geheimnisvoll, hier darf man sich als Zuschauer in der Gedanken- und Gefühlswelt der Darsteller auf die persönliche Entdeckungsreise begeben.
Crying Zone, Monsun
Ein Raum zum Weinen, ohne Angabe von Gründen
Die anschließende Performance "Crying Zone" wagt es, alles auf eine Karte zu setzen. Eigentlich dauert die Performance, die unter der Regie von Zofia Komasa aus Warschau entstand, sechs Stunden. Für das Festival war sie auf knapp drei Stunden gekürzt worden. Der Inhalt der stummen Performance lässt sich sehr kurz zusammenfassen: Pro Stunde setzt sich im Wechsel eine der insgesamt vier Performerinnen auf einen Stuhl und beginnt zu weinen. Ein Mann schnappt sich derweil ihre weggeworfenen, nassen Taschentücher und versucht sie auf seinem Körper tanzend zu balancieren.
Der Zuschauer wird konfrontiert mit diesem rätselhaften, sich stetig wiederholenden Geschehen. Er wird zum unfreiwilligen Voyeur der weinenden Frauen, die reale Tränen vergießen. Während er diesem Leid zusieht, ist er seinen eigenen Gedanken, Fragen und Spekulationen ausgesetzt. Warum weinen diese Frauen? Spielt der nur an den Taschentüchern interessierte Mann auf der Bühne dabei eine Rolle? Will der etwa das Leid der Frauen auf seinen Schultern tragen, ohne sich um die Frauen kümmern zu müssen?
Während des Hamburger Gastspiel stand eine Zuschauerin spontan auf und stieg in die Performance mit ein. Sie setzte sich neben die weinende Performerin und nahm ihre Hand.
Ausdrücklich war es erlaubt, während der Performance den Raum zu verlassen und wieder zu kommen. Doch wirkte dieses knarschende Fortgehen wie der dieser zusätzliche Beweis der Ignoranz der Zuschauer. Eine provozierende Arbeit, die die Vielfalt des Aussicht-Festival im Monsuntheater einmal mehr unterstrich.
Birgit Schmalmack vom 2.9.18