Hart erarbeiteter Neubeginn
Unsicher stehen die Frauen auf Zehenspitzen. Schwankend ist ihr Stand. Minutenlang verharren auf ihrem Fleck. Noch trauen sie sich nicht voranzuschreiten.
Zum Schluss werden sie diese Position noch einmal einnehmen, doch ihr Blick wird dann nach oben gerichtet sein. Mittlerweile können sie in die Zukunft zu schauen. Mühsam haben sie gelernt loszulassen. Hart erarbeitet war dieser Neuanfang, der nicht freiwillig geschah. Denn das Verlassenwerden stand am Anfang.
Immer wieder strichen sich die Frauen über die Wangen. Noch einmal tanzten sie selbstvergessen ihren Tanz der vergangenen Zweisamkeit. Schrittweise versuchen sie sich loszureißen. Hektisch laufen sie von einer Seite auf die andere, aber den Erinnerungen können sie nicht davonlaufen. Soviel muss noch verarbeitet werden. Mit so vielem muss der Frieden gemacht werden. Immer wieder funkt die Wut dazwischen. Dann brettern plötzlich die Technobeats über die Bühne. Mit wummernden Rhythmen lässt sich vielleicht vieles abschütteln. Doch eine von ihnen macht deutlich, wie schwer auch dies ist: Immer wieder verharrt sie plötzlich in ihren Bewegungen und erinnert sich an Momente, die das Vergessen verhindern. Doch dann schlagen sie alle gemeinsam eine Richtung ein. In einem konzertiertem Kraftakt streifen sie mit energiegeladenen Bewegungen das Alte ab und versuchen sich endgültig freizumachen. Doch es fällt ihnen sicht- und hörbar schwer. Das Loslassen ist harte Arbeit. Davon zeugen die Schweißperlen, die ihnen dabei von der Stirn tropfen.
Uta Engel hat mit ihrer Sticky Trace Company das Verlassenwerden, das Verlassen und das Loslassen genau studiert und in all seinen Gefühlslagen und Stadien in Tanz übersetzt. "Leaving" ist ein ernster, sehr konzentrierter und sehr kraftvoller Abend geworden, der die Frauen weniger in der Gruppe sondern als Einzelwesen zeigt. Denn im Verlassenwerden ist jeder auf sich selbst zurückgeworfen. Dennoch ist es ein hoffnungsvoller Abend geworden. Denn in jedem Verlassen liegt auch ein Neubeginn. Der begeisterte Applaus bei der Lichthofpremiere für die schweißtreibende, gefühlsintensive Performance der Tänzer war mehr als verdient. Eine derartige Präsenz der einzelnen Persönlichkeiten, Kraft der tänzerischen Bewegung und Intensität im Ausdruck ist auf Hamburgs Tanzbühnen leider nicht die Regel.
Birgit Schmalmack vom 20.3.18
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HH-Theater I-S
Lichthof