Sie sind hier: HH-Theater I-S Kampnagel

Frühlingsopfer, Kampnagel

She She Pop auf Kampnagel von Doro Tuch

Kampf mit der Übermutter

„Einige von ihnen haben Opfer gebracht. Einige von uns sind dagegen nicht gewillt Opfer zu bringen.“ Das stellen die vier Performern gleich am Anfang postularisch in den Raum. Damit ist das Thema vorgegeben: Es geht um das Opfer der Mütter. Denn hinter ihnen hängen vier voneinander getrennte Leinwände, auf denen sie sich ihren Mütter in Überlebensgröße als Übermütter zeigen.
Die Liste der Dinge, die alle nicht zur Sprache kommen soll, ist lang , so lang, dass der Eindruck entsteht, dass kaum zu Behandelndes übrig bleiben würde. Also wählten She She Pop dieses Mal kein Drama sondern ein Musikstück als Grundlage der Auseinandersetzung. Klare Gesten sollen statt klarer Worte für eine Hinterfragung und Neuordnung der Beziehung zu den Müttern dienen. Im Gegenstück zu ihrem Väter-Stück „Das Testament“, für das der Generationenkonflikt in King Lear den Ausgangspunkt bildete, benutzen sie für ihr Mütter-Stück „Das Frühlingsopfer“ von Tschaikowski, in dem eine Jungfrau Opfer den Göttern als rituelles dargebracht wird. Somit ist die inhaltliche Hypothese für ihre Auseinandersetzung mit den Müttern klar definiert: Es soll um die Frage nach den Opfern gehen, die Mütter und eventuell Kinder füreinander erbringen müssen. Doch genau diese Hypothese negieren die Mütter gleich in den ersten Videosequenzen. Sie wollen sich nicht als Opfer sehen, die unfreiwillig Opfer hätten bringen müssen. Wenn ein Verzicht auf die eigene Berufstätigkeit und Karriere nötig erschien, wäre er aus eigenem Willen entstanden. Als eigenständiges Subjekt in ihrem Leben hätten sie ihre Entscheidungen für oder gegen Kinder, für oder gegen Karriere selbst getroffen. Sie wollen sich von ihren Kindern nicht in Opferrolle drängen lassen.
Doch ihre Kinder behalten die Macht über die Bilder. Sie scheuen die direkte gleichberechtigte Konfrontation mit ihren Müttern sondern lassen sie nur in denen von ihnen gestalteten Projektionen sprechen. Sie pressen sie in ihre eigenen Bilder. So lassen sie sich in die Tagesdecken wickeln, verkleiden sie als heilige Mutter Maria, verhüllen sie als komplett verschleierte Tagesdecken-Burka-Trägerin und lassen sie ungelenke Tanzimprovisationen zu Tschaikowskis Ballettmusik vollführen.
Wirklich stark werden diese Bilder erst, wenn sie sich selbst zum Teil ihrer Projektionen machen. Dann projizieren sie sich in den Bauch der Mutter, kuscheln sich auf ihren Schoß, liegen zu ihren Füßen oder versuchen sie dabei ohne Erfolg abzuschütteln. Dennoch bleibt der Eindruck, dass She She Pop dieses Mal zu sehr von ihrer Angst vor der Aufarbeitung dieser emotionsgeladenen Mütteraufstellung haben leiten lassen, zu viel an eigenen Anteilen außer Acht lassen wollten. Selbst She She Pop gingen hier die Worte aus. So sprechen die Leerstellen dieses Stückes mehr als das Gezeigte von dieser so komplizierten und hochexplosiv aufgeladenen Mütter-Kind-Beziehung. Doch statt genau diese Sprachlosigkeit offensiv zum Thema zu machen, retteten sie sich in Zitate und Rituale eines bedeutungsschwangeren, fast ironiefreien, expressiv-archaischen Stammes-Tanz. Sie bannen damit ihre Mütter in Bilder von archaischen Strukturen, leider dieses Mal fast gänzlich ohne einen diskursiv-intellektuellen Überbau.
Birgit Schmalmack vom 20.1.15

spiegel 
nachtkritik