Cassette, Kampnagel
Der Traum ist aus!
Der Nussknacker ist ein romantisches Ballettmärchen, das gerade in der Vorweihnachtszeit Hochkonjunktur hat. Doch bei David Wampach bleibt von den schönen Träumen Maries als Balletttänzerin mit ihren Spielzeugfiguren nicht mehr viel übrig. Ein grünes Laserdreieck erinnert entfernt an den Weihnachtsbaum, doch nur kurz darf sich Marie an ihren Geschenken erfreuen. Wampach setzt ihren jugendlichen Träumen ein überaus rabiates Ende: Sobald sie unterm Baum in den Schlaf fällt, darf sie sich nicht wie gewohnt jugendlichen Utopien als umschwärmte Balletttänzerin hingeben, sondern es kommen Ratten, dringen in alle ihre Öffnungen ein und fressen sie bei lebendigem Leibe auf. Während diese Horrorgeschichte eine Tänzerin im Laserlicht böse kichernd zum Besten gibt, umflirrt sie eine andere auf Highheels mit erotischen Verrenkungen. Eine Traumdeutung à la Wampach, die wohl selbst Freud zu weit gehen würde.
Als der Vorhang aufgeht, sind bei Wampach aus Maries Ballettträumen selbstentblößende Tanz-Wettbewerbe geworden, in denen die Paare mit einem künstlichen, breiten Lachen im Gesicht alles geben müssen. In halbierten hautengen Kostümen, die genau so viel verdecken wie zeigen, wahren sie den schönen Schein. Um die Aufmerksamkeit des Publikum buhlend, lassen sie kein Mittel aus. Angefeuert werden sie von einem Moderator in silbernen Borat-Anzug und seiner Assistentin in gleichen Outfit , nur dass bei ihr ihre nackten Brüste herausragen. In einer ständigen Wiederholungsschleife vollführen die Paare zu antreibenden Latinobeats die immer gleichen lust- und erregungsfördernden Bewegungen. Diese Jagd nach Perfektion, Einförmigkeit und Standardisierung lässt an Castingsshows denken, bei denen eine Jury mit ihrer gnadenloser Punktevergabe den Wettbewerb anfeuert. Der Unterhaltungsaspekt wird so stark übertrieben, dass er das Gegenteil bewirkt. So sind - und sollen wohl auch - diese Showeinlagen in ihrer ständigen, nur minimal variierten Widerholungsschleife ermüdend. Den Zusammenhang mit dem Nussknacker hat Wampach zu diesem Moment anscheinend völlig aus dem Auge verloren.
Kurz vor Ende fällt er ihm wieder ein. Da ertönt sogar Tschaikowskis Musik aus den Lautsprechern, vier Spielfiguren in neonfarbenen Kleidchen tummeln sich um den tanzenden Soldaten und zwei Turban-Püppchen schweben aus dem Himmel herunter, nur damit sich danach alle gemeinsam mit kreischenden Lustschreien zu vermeintlicher Ekstase hochschaukeln.
Birgit Schmalmack vom 15.12.14
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