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Jungfrau von Orleans, DT


Abstraktes Konzepttheater

Wie eine Statue steht sie da. Zweieinhalb Stunden wird sie sich nur einmal vom Fleck bewegen. Die Arme ausgebreitet wie die Jesus-Statue in Rio de Janeiro ist sie zu einem Symbol geworden. Wie in Stein gemeißelt ist sie in ihrer Rolle gefangen, die sie laut ihrer Aussage von ganz oben verliehen bekommen hat. Die Mutter Gottes ist ihr erschienen und hat ihr einen großen Auftrag verliehen. Für eine Frau völlig untypisch: Sie soll als Heerführerin ihr geknechtetes und unterlegenes Volk in die siegreiche Schlacht führen, um sie sie von ihren Unterdrückern zu befreien. Und sie sie schafft es: Die Engländer, die schon fast ganz Frankreich besetzt hatten, werden unter ihrer Leitung in einem Gewaltakt vertrieben.
Doch auch nach dem Sieg steht sie wie versteinert ganz alleine da. Sie sollte sich freuen über den errungenen Erfolg, doch sie ist wie erstarrt. War doch die Bedingung für ihre Mission, dass sie sich aller Gefühle entledigt, vor allem der weiblichen nach Liebe. Und dennoch hat es sie erwischt. Ausgerechnet auf dem Schlachtfeld hat ein Feind, der Engländer Lionel (Alexander Khuon), es geschafft ihr Herz zu rühren. Entsetzt über ihre Gefühle fühlt sie sich von sich selbst verraten. So wagt sie sich auch nicht zu verteidigen, als ihr Vater sie der Gotteslästerung und Teufelsanbetung anklagt. Sie schweigt zu den Vorwürfen und akzeptiert damit ihre Strafe: Sie wird in den Kerker und auf den Scheiterhaufen geworfen.
Die Abrechnung der Außenwelt kann sie nicht härter treffen als ihr Selbstgericht. Sie ist in sich selbst gefangen, in ihrer eigenen Idealisierung. Sie nennt sich die heilige, unschuldige Jungfrau und dennoch ist sie schuldig geworden. Kathleeen Morgeneyer spielt diese Frau, die mit sich hadert, ihre Rolle nicht finden kann zwischen Führerin, Heilige und Kriegerin und an ihren Ideale zerbricht. Sie erlaubt sich nicht sich vom Fleck zu rühren. Diese Unbeweglichkeit bringt ihr den vermeintlichen Sieg aber kostet ihr letztlich das Leben.
Regisseur Michael Thalheimer arrangiert daraus ein Theater der Konzepte und Postulate. Unter der schwarzen Kuppel (Bühne Olaf Altmann), in die zunächst nur ein winziger Lichtstrahl fällt, der einzig Johanna erleuchtet und alle anderen im Dunkeln stehen lässt, ist kein Platz für Bewegung. Alle Figuren sind zu Rollenvertretern geschrumpft. Sie stehen für die Idee einer Person. Für menschliche Interaktion ist hier kein Platz mehr. Ablenkung erlaubt Thalheimer den Schauspielern ebenso wenig wie den Zuschauern. Das ist anstrengend und fordert ganze Aufmerksamkeit. Alles bewegt sich auf der Abstraktionsebene, die Ideale und Vorstellungen nicht zu lebender Aktion sondern zu theoretischen Gebilden werden lassen. Das ist statisches Konzepttheater, das Theorien und Menschen wie in einer Versuchsanordnung unter eine gewollt wissenschaftliche Analyse stellt. Da ist es nur schlüssig, wenn deren Blut aus kleinen Konserven verspritzt werden muss.
Birgit Schmalmack vom 1.11.14

Zur Kritik von

godot